Der Albaner Vullnet Hoxha hat im Atelier des Vaihinger Steinmetzmeisters und Bildhauers David Verstege eine Skulptur aus Marmor geschaffen. Der weiße Engel bekommt einen Ehrenplatz vor dem Waldheim Sonnenwinkel.

Stadtleben und Stadtkultur : Alexandra Kratz (atz)

Vaihingen - Der Engel symbolisiert eine junge Frau, die ungewollt schwanger geworden ist. „Wenn man jung ist, macht man Fehler, auch in der Liebe“, sagt Vullnet Hoxha und ergänzt: „Doch wer so einen Fehler macht, steht oft allein da – ohne Liebe und ohne Unterstützung.“ Wer genau hinschaut, findet in der Skulptur noch viele weitere Dinge, so zum Beispiel die vier Jahreszeiten und die vier Elemente.

 

Hoxha hat die Skulptur aus einem Marmorblock herausgearbeitet. Für ihn ist sie ein Sinnbild für die „schwankende Mentalität“ in seiner Heimat Albanien. Was er meint, ist die Korruption. „Die Verbundenheit mit dem Geld und der Partei ist bei uns sehr groß“, sagt der 45-Jährige in noch etwas gebrochenem Deutsch. Die damit einhergehenden Ungerechtigkeiten seien der Grund dafür gewesen, warum er seine Heimatstadt Gramsch verlassen habe. „In Albanien hatte ich keine Chance. Es gibt dort keinen Respekt gegenüber der Kunst, keine künstlerische Freiheit“, sagt Hoxha. Dort habe er für sich, seine Frau und seine vier Kinder keine Perspektive mehr gesehen.

Glücklich auf fünf Quadratmetern

Vor acht Monaten kam die Familie nach Deutschland. Über Frankfurt, Trier und Karlsruhe gelangte sie schließlich nach Stuttgart. Seit fünf Monaten leben die Hoxhas nun in der Notunterkunft im Waldheim Sonnenwinkel. Es ist eng. Die sechsköpfige Familie teilt sich eine etwa fünf Quadratmeter große Parzelle mit Stockbetten. „Aber wir sind glücklich. Wir haben viele neue Freunde gefunden“, sagt Hoxha.

Einer dieser Freunde ist der Bildhauer David Verstege. In den vergangenen Wochen war Vullnet Hoxha fast jeden Tag in dessen Atelier in der Kleingartenanlage Unterer Grund. Verstege hat den etwa 300 Kilogramm schweren Marmorblock gesponsert. Der Freundeskreis Flüchtlinge sei auf ihn zugekommen, erzählt der Vaihinger. Denn Hoxha ist Steinmetz und Bildhauer. Ebenso wie Verstege schuf er in seiner Heimat Grabsteine und Kunstwerke. Der Mann aus Albanien machte bereits bei vielen Ausstellungen mit und gewann einige Preise. Verstege öffnete ihm nun seine Werkstatt und gab ihm damit die Möglichkeit, etwas zu schaffen. „Das ist mein Beitrag, um diese Flüchtlingskrise zu meistern“, sagt Verstege. „Ich habe viel darüber nachgedacht und bin mittlerweile überzeugt: Wir schaffen das, wenn jeder etwas dafür tut“, sagte Verstege. Er habe gespürt, wie aufgewühlt Hoxha am Anfang gewesen sei. Doch mit jeder Stunde, die er gearbeitet habe, sei er ruhiger geworden.

Der Mann aus Albanien arbeitete mehr als 200 Stunden an der Skulptur

Claudia Schlayer vom Freundeskreis Flüchtlinge hat die Familie Hoxha betreut. „Diese Arbeit war für Vullnet wertvoll. Er hatte eine Aufgabe und damit wieder einen strukturierten Tagesablauf.“ Sie habe gemerkt, wie Hoxha sich gewandelt habe, wie er jeden Tag etwas zufriedener wieder in den Sonnenwinkel zurückkam.

Mehr als 200 Stunden lang arbeitete der Mann aus Albanien an der Skulptur. Das Kunstwerk sei sehr detailgetreu geworden. „Obwohl es kein Modell, sondern nur Skizzen gab“, sagt Verstege. Er schätzt den Wert der Skulptur auf 8000 bis 10 000 Euro.

Für die Pfarrerin Mirja Küenzlen hat der weiße Engel vor allem einen symbolischen Wert. Er stehe für die bereichernden und schönen Erfahrungen, welche die Menschen im Dachswald mit den Flüchtlingen im Sonnenwinkel machen. „Es ist ein biblisches Gebot, dass wir Fremden wohlwollend begegnen und sie bei uns aufnehmen“, sagt Küenzlen. Vullnet Hoxha sei mit seiner Freundlichkeit und Aufgeschlossenheit besonders aufgefallen und habe sich immer um ein friedliches Miteinander der verschiedenen Kulturen und Religionen im Sonnenwinkel bemüht.

Voraussichtlich am 20. April muss die Familie zurück

Nun muss die Familie zurück. Wer als Flüchtling aus Albanien kommt, kann nicht in Deutschland bleiben. „Das war uns allen von Anfang an klar“, sagt Heiner Küenzlen vom Freundeskreis und ergänzt: „Wir sperren uns nicht gegen die Abschiebung. Aber das, was jetzt auf die sechsköpfige Familie zukommt, ist kriminell.“ Die Hoxhas haben kein Geld, keine Wohnung, nichts. Voraussichtlich am 20. April wird die Familie Hoxha in den Bus steigen – eine Reise ins Ungewisse. Für den 16. April planen die Menschen im Sonnenwinkel ein Abschiedsfest. Der weiße Engel bleibt im Dachswald. Er bekommt einen Ehrenplatz vor dem Waldheim. Die Gesamtkirchengemeinde, der das Gelände gehört, ist damit einverstanden. „Darüber sind wir sehr froh“, sagt Küenzlen. Und auch dass David Verstege sein Atelier geöffnet und den Marmor gesponsert habe, sei nicht selbstverständlich.

Die Skulptur zeige, dass von den Hoxhas etwas bleibe. Dass sich die Menschen im Dachswald erinnern. Der Freundeskreis möchte im Gegenzug der Familie Geld als Starthilfe mit auf den Weg ins Ungewisse geben. Wer dafür spenden möchte, kann sich per Mail an Ak_fluechtlinge@thomasgemeinde-stuttgart.de wenden.