Angela Merkel hat sich im Asylstreit mit Horst Seehofer zwei Wochen Zeit für eine europäische Lösung erkauft. Die Kanzlerin will aber auch nicht einfach aufgeben, wenn diese Variante nicht gelingt.

Berlin - Diese Ruhe. Angela Merkels Bewunderer lieben genau das an ihr. Wie sie da an diesem Montagnachmittag vor die Mikrofone im Foyer der CDU-Parteizentrale tritt, als wäre nichts geschehen. Ihre Gegner und auch jene in der Kanzlerinnenpartei, die Mehrheiten dahinschwinden sehen, macht es dagegen fast wahnsinnig, dass sie die vielen Angriffe der vergangenen Tage nicht auch einmal selbst mit einem markigen Spruch kontert. Stattdessen erläutert Merkel gelassen wie eh und je den Kompromiss, der ihr für mindestens zwei weitere Wochen den Job sichert. Um nichts weniger ging es schließlich im Streit über Zurückweisungen von Flüchtlingen an der Grenze, den die CSU künstlich vom Zaun gebrochen hat.

 

Zur Eskalation der vergangenen Tage verliert die CDU-Vorsitzende kein hartes Wort. Bundeskanzlerin und Bundesinnenminister müssten in einer für Deutschland herausfordernden Sicherheitslage „gesprächsfähig“ sein, sagt sie über Horst Seehofer, mit dem sie zuvor bis nach Mitternacht die Details ihres Minimalkompromisses durchgegangen ist: „Diese Voraussetzung ist gegeben.“ Dann folgen zwei Sätze, die sie zur Königin britischen Understatements befähigen: Für ihren Streit hätten CDU und CSU „eine Form gewählt, die besonders viel öffentliche Aufmerksamkeit“ erzeugt habe, so die Kanzlerin. Dabei sei es „emotional um die Sache“ gegangen.

Merkel gibt sich souverän

Merkel ist jedenfalls kalt erwischt worden. In ihrem Umfeld räumen sie freimütig ein, dass ihre Chefin vor gut einer Woche überrascht wurde vom 63. Punkt in Seehofers Masterplan und den Folgen. Das allein deutet schon sehr darauf hin, dass das Fundament ihrer Macht deutliche Risse bekommen hat. Zumindest die Regierungszentrale muss über solche internen Entwicklungen Bescheid wissen – tut sie es nicht, arbeitet sie an der Kanzlerin vorbei. Dass es gleich einer ganzen Reihe führender CSU-Figuren um ihren Kopf geht, ist Angela Merkel und der CDU auch nicht auf Anhieb klar gewesen.

Die Kanzlerin legt also größten Wert darauf zu betonen, dass sie immer noch Herrin der Lage ist. „Zweimal Ja“, antwortet sie knapp auf die Doppelfrage, ob sie mit ihrer eigenen Regierung noch vertrauensvoll zusammenarbeiten könne und weiter über die im Grundgesetz formulierte Richtlinienkompetenz verfüge. Noch wichtiger ist ihr, dem Eindruck eines Ultimatums entgegenzutreten, wie es auf Seehofers parallel stattfindender Pressekonferenz in München intoniert wird. Was sich bei der CSU nach einer zweiwöchigen Gnadenfrist für Merkel und ihre europäische Lösung anhört, wird bei der Kanzlerin zur Initiative einer vielleicht wankenden, aber doch um Amt und vielleicht auch Überzeugungen kämpfenden Regierungschefin. Sie habe sich schließlich mit ihrem eigenen „Kompromissvorschlag“ vom vergangenen Donnerstag, so Merkel, „Auftrag und Zeitrahmen selbst gegeben“.

Merkel weiß, wie schwierig eine europäische Lösung ist

Dies sieht nun so aus, dass sie bis zum EU-Gipfel Ende des Monats mit den wichtigsten Einreise- und Transitländern von Flüchtlingen auf dem Weg nach Deutschland Abkommen schließen will, um die aufwendigen Prüfprozeduren für die Rücknahme anderswo bereits registrierter Asylbewerber drastisch zu verkürzen – was im Ergebnis den von Seehofer favorisierten sofortigen Zurückweisungen entspräche, nur eben im Einklang mit EU-Recht. „Deutschland ist nicht irgendein Land“, sagt sie zur besonderen europäischen Verantwortung der Bundesrepublik, die eine Übereinkunft zwingend erforderlich mache. Die Kanzlerin sieht darin auch keinen Widerspruch zu ihrer zentralen Entscheidung Anfang September 2015 zur Offenhaltung der Grenzen, weil sie damals in Absprache mit Wien gehandelt habe und die anderen EU-Außenminister informiert worden seien.

Zwei Wochen sind eine verdammt kurze Zeit, um die Dinge in Europa und damit auch zwischen den Schwesterparteien und in der Koalition zu regeln. Ihr Gegenentwurf zu Seehofers „Masterplan“, das gibt sie unumwunden zu, sei einer, „der mich auch unter Verhandlungsdruck setzt“. Merkel weiß, wie schwierig es wird, weil Einreisestaaten wie Bulgarien, Griechenland oder Italien sowie Transitländer wie Österreich Gegenleistungen einfordern werden, vielleicht auch finanzielle Unterstützung wie beim EU-Türkei-Abkommen. Aber die Kanzlerin glaubt an ihre Chance, berichtet hinter den verschlossenen Türen einer mehrstündigen Bundesvorstandsitzung davon, wie sie in drei Tagen zusammen mit Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen eine Nato-Mission zur Überwachung der Ägäis aus dem Boden gestampft habe. „Wir brauchen – um das erreichen zu können – eine handlungsfähige Bundesregierung und ein starkes Mandat für mich.“

Nur einer schlägt sich auf die Seite der CSU

Von ihrer CDU bekommt sie es. Im Vorstand vertritt einzig der Sachse Arnold Vaatz die CSU-Position, während viele andere ihre Vorsitzende ermuntern, den Bayern nicht zu sehr nachzugeben. Ausgestanden ist die Sache für Angela Merkel nämlich noch lange nicht. Sie weiß das, betont jedoch dreimal, „keine Wenn-dann-Fragen“ beantworten zu wollen. Sie gibt dann doch Auskunft über den Fall, dass sie keine oder zu wenige Abkommen mit anderen EU-Staaten zuwege bringt. Wenn die CDU am 1. Juli über die Ergebnisse des EU-Gipfels berät, wird es aus Merkels Sicht „keinen Automatismus“ geben. Seehofer, der in München mehr oder weniger das Gegenteil erzählt, dürfe nach einer gescheiterten europäischen Lösung nicht ohne weitere Diskussion Zurückweisungen verfügen. Sollte er ohne vorherige Absprache mit ihr der Bundespolizei entsprechende Maßnahmen anordnen, wäre das für die Kanzlerin „eine Frage der Richtlinienkompetenz“.

Angela Merkel trägt die Entlassungsdrohung genau in der Ruhe und Beiläufigkeit vor, die die einen so mögen und die anderen so nervt. Dass sie sie überhaupt ausspricht, legt nahe, dass sie zum Kampf entschlossen ist. Alle ihre Truppen dafür hat sie noch nicht verloren.