Anne Vieth, neue Leiterin der Mercedes-Benz Art Collection, war in unserer Reihe „Über Kunst“ in der Staatsgalerie zu Gast – mit einem klaren Bekenntnis zum Kunststandort Stuttgart.

Seit sieben Monaten ist Anne Vieth Leiterin der Mercedes-Benz Art Collection, aber schon sagt sie am Dienstagabend in der Staatsgalerie Stuttgart: „Ja, es gibt bereits Ankäufe, die meine Handschrift tragen.“ Vieth ist zu Gast in der Gesprächsreihe „Über Kunst“ unserer Zeitung.

 

Hans J. Baumgart, Leiter der Sammlung bis ins Jahr 2000, und Renate Wiehager, Leiterin bis 2023, haben der Mercedes-Benz Art Collection jeweils entscheidende Impulse gegeben, Sammlungsschwerpunkte entwickelt. In welche Richtung möchte Anne Vieth die Sammlung lenken? Eine Frage, die in Stuttgart auf großes Interesse stößt. Der Vortragssaal im Stirlingbau ist voll, mehr als 300 Menschen sind gekommen.

/Steffen Schmid

Anne Vieth übernimmt die Leitung der Unternehmenssammlung zu einem Zeitpunkt, der ungünstig erscheint. Nikolai B. Forstbauer, Autor unserer Zeitung, weist als Moderator auf Eckpunkte hin: Der Konzern zieht sich aus Stuttgart-Möhringen zurück, die Ausstellungsbühne Daimler Contemporary im Weinhaus Huth am Potsdamer Platz ist geschlossen. Anne Vieth jedoch ist optimistisch: „Die Mercedes-Benz Art Collection hat eine gute Zukunft vor sich“, sagt sie. „Und das gilt auch für Mercedes-Benz.“

Keine feste Sammlungsbühne geplant

Erst jüngst reiste die neue Leiterin der Sammlung nach Berlin, um dort Gebäude in Augenschein zu nehmen, die als neue Präsentationsstandorte infrage kommen. Einen Ausstellungsraum, vergleichbar jenem am Potsdamer Platz – „temporär und verstetigt“ – möchte sie jedoch nicht schaffen. „Ich habe mich bewusst dagegen entschieden“, sagt sie. „Ich möchte dynamischer arbeiten.“ Hier schon kommt ihr persönlicher Ansatz zum Tragen. Aber was bedeutet das? Anne Vieth verrät noch nicht viel. Nur dies: „Wir erarbeiten ein dynamisch-modulares Ausstellungskonzept. Wir nehmen uns jeweils zwei bis drei Themen vor, gestalten sie aus der Sammlung heraus und mit Leihgaben und gehen damit international an Standorte, die kulturell und auch für Mercedes-Benz interessant sind.“

Der Netzwerkgedanke ist ihr wichtig. Die Erfahrungen, auf die sie aufbaut, hat sie zu einem großen Teil in Stuttgart erworben. Geboren wurde sie 1979 in Schwetzingen; von 2014 an arbeitete die promovierte Kunsthistorikerin für die Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden, 2017 kam der Schritt ans Kunstmuseum Stuttgart, wo sie unter anderem die Sammlungsbestände von Otto Dix und Fritz Winter betreute.

Aktuell im Mercedes-Benz Museum zu sehen: Werke von Daniele Buetti in „Now On View“ Foto: Mercedes-Benz Art Collection/© VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Schön an der Mercedes-Benz Art Collection, sagt Anne Vieth, finde sie vor allem, dass die Sammlung von Anbeginn an nicht auf eine Wertmehrung hin angelegt worden sei, sondern mit der Absicht, den Mitarbeitern des Konzerns die Kunst nahezubringen. Die neue Sammlungspräsentation „Now on View“, die seit März im Mercedes-Benz- Museum zu sehen ist, setzt dies konsequent fort: „Die Leute kommen, um sich über die Automobilgeschichte zu informieren, und werden mit der Kunstsammlung des Unternehmens konfrontiert.“

In der Staatsgalerie präsentiert Anne Vieth eine projizierte Auswahl an Werken, die ihr selbst am Herzen liegen. Den Autobezug denkt sie, im Blick auf ihre Sammlungsbestände, stets mit – „um die Ecke herum“ –, aber andere Schwerpunkte werden ebenfalls deutlich: weibliche Sichtweisen, der Umgang mit dem Raum, mit der Fläche, das Interesse am globalen Süden. „Wir halten die Augen nach allen Seiten offen.“

„Zeit der Welttourneen ist vorüber“

Einen Paukenschlag wie die Welttournee, mit der die Sammlung 2007 auch in São Paulo gastierte, möchte Anne Vieth allerdings nicht wiederholen: „Ich würde es gerne etwas leiser machen“, sagt sie. Und: „Die Zeit der Welttourneen ist vorüber, alleine schon der Nachhaltigkeit wegen. Heute muss man sich genau überlegen – was schickt man auf Reisen? Und wie viel?“ International will auch sie agieren – „aber mir ist es wichtig, dass das auf Augenhöhe geschieht, dialogisch. Wir könnten verschiedene Sammlungen übereinanderlegen und so ein schönes Netz knüpfen.“

„Wir müssen neue Allianzen eingehen“

Immer möchte Anne Vieth dabei aber in Kontakt mit der bestehenden Mercedes-Benz-Sammlung bleiben, Brücken von ihren Beständen aus zu neuen Themenfeldern schlagen. Ein Beispiel, das sie nennt, ist die Zusammenarbeit mit einem jungen bayrischen Künstler, der bekannte Werke der Kunstgeschichte mit der Hilfe von Insekten neu erschafft – so zum Beispiel Willi Baumeisters „Ruhe und Bewegung II (auf Blau)“ von 1948, eines der wichtigsten Werke der Mercedes-Benz Art Collection.

Weiterhin zugänglich? Auftragswerk „Der Raum des Erfinders“ im früheren Headquarter in Stuttgart-Möhringen Foto: Mercedes-Benz Art Collection/© VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Die Frage freilich, wie beispielsweise Walter de Marias „5 Kontinente Skulptur“, bisher im Entree des vormaligen Daimler-Hauptquartiers in Möhringen, oder Ben Wilikens „Raum des Erfinders“ nach dem Rückzug des Konzerns von diesem Standort weiterhin der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können, stellt Anne Vieth vor andere Herausforderungen. „Da müssen wir definitiv neue Allianzen eingehen“, sagt sie.

Kooperationen auch am Standort Stuttgart

Noch legt Anne Vieth ihren Fokus dabei bewusst auf die konzerninterne Arbeit. Aber sie spricht auch davon, wie es weitergehen könnte, am Standort Stuttgart: von einer Veranstaltung mit der Staatsoper, einem Künstlergespräch im Kunstverein, die sie bereits plant. An diesem Sonntag wird sie selbst eine Führung im Mercedes-Museum geben, nahe dran an der Kunst.

Stuttgart, sagt sie, werde weiterhin eine große Rolle im breiten gesellschaftlichen Engagement von Mercedes-Benz spielen – „und wir werden hier und in der Umgebung die Kooperation mit den Institutionen suchen, Ankäufe tätigen und Auftragsarbeiten vergeben.“ Ein Beispiel, das „mir viel Spaß macht“, setzt den bildlichen Schlussakzent an diesem Abend: das Gemälde „Türöffner“ des jungen Stuttgarter Malers Carlo Krone.