Attentäter wie die am 11. September beweisen, dass Bildung nicht vor Hass schützt. Sie macht den Täter nur noch unscheinbarer.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Stuttgart - Plötzlich waren sie da, zu allem bereite Sendboten des Todes, die Eigenschaften und Fähigkeiten mitbrachten, die noch kein Attentäter vor ihnen in dieser Kombination besaß: Hochschulbildung, den Stallgeruch eines westlichen Industrielandes, Unverdächtigkeit, äußerste Nervenstärke, Kampfeslust. Schon lange hatte Osama bin Laden, so berichteten es später gefangen genommene Getreue, nach einer Möglichkeit gesucht, die USA im eigenen Land anzugreifen.

 

Diejenigen, die dazu bereit gewesen wären, scheiterten meist schon an der englischen Sprache. Nun, in einem Lager nahe der afghanischen Grenze, saßen bin Laden einige Hamburger Studenten gegenüber, die fragten, was sie tun könnten für die Befreiung des Islam von der Knechtschaft Amerikas: Mohammed Atta, Ziad Jarrah, Marwan al-Schehhi, Ramsi bin al-Schibb. Geht und lernt ein Passagierflugzeug zu fliegen, wies der Terrorchef an. Und seid bereit, zu sterben und ins Paradies einzuziehen.

Keine Sicherheit vor der Entschlossenheit einer kleinen Terrorzelle

Ohne diese technisch versierten Wahldeutschen, die in der Hamburger Marienstraße 54 in einer Wohngemeinschaft lebten und die den Kern der Flugzeugattentäter bildeten, wäre der Anschlag vom 11. September 2001 nicht möglich gewesen. Deutschland stand weltweit da als das Land, in dem sich die teuflischste aller Attentätergruppen radikalisieren und vorbereiten konnte.

Doch die vielen folgenden Selbstbefragungen eines Landes führten zu keiner verwertbaren Erkenntnis, keiner Lücke im System, verklangen in Feststellungen wie der, dass ein offenes Land, eine offene Stadt wie Hamburg nie sicher sein kann vor dem Hass und der kriminellen Entschlossenheit, die eine geschickt agierende, kleine Terrorzelle an den Tag legt.

Lage-und Analysezentrum des Bundes zur Terrorabwehr nimmt Arbeit auf

Sollten deutsche Behörden bis zum 11. September Naivität gegenüber der Terrorgefahr an den Tag gelegt haben, so war es damit jedenfalls vorbei. Im Dezember 2004 nahm in Berlin das Lage- und Analysezentrum des Bundes zur Terrorabwehr die Arbeit auf.

Als 2002 amerikanische Geheimdienste in alle Welt ausschwärmten, um Terroristen und Terrorhelfer aufzuspüren, wurde bedingungslos kooperiert. CIA-Angehörige durften den Neu-Ulmer Khaled el Masri entführen und nach Afghanistan verschleppen. Die Hoffnung, zentrale Wurzeln des Terrorismus zerstören zu können, erfüllte sich nie.

Attacken folgten Schlag auf Schlag

Im Juli 2006 schreckte das Bahn-Video eines jungen Mannes auf, der ein Nationalmannschaftstrikot mit der Aufschrift Ballack trug. Er hatte mit einem Helfer am Kölner Hauptbahnhof zwei Kofferbomben in Regionalzügen Richtung Hamm und Koblenz deponiert. Sie detonierten lediglich wegen eines Baufehlers nicht.

Der Ballack-Fan Youssef al-Hajdib wurde im Dezember 2008 wegen versuchten Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Sein Komplize Jihad Haman war bereits im Libanon gefasst und zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden. Beide Männer hatten als angehende Studenten in Kiel gelebt.

Keine Zeit zum Luft holen

Das Oberlandesgericht Düsseldorf hatte wenig Zeit zum Durchatmen. Nach dem Kofferbomber-Urteil wurde der Fall der sogenannten Sauerland-Gruppe aufgerufen. Am 4. September 2007 waren in einer spektakulären Polizeiaktion Fritz Gelowicz, Daniel Schneider und Adem Yilmaz in einem Ferienhaus im Sauerland gefasst worden. Zusammen mit dem Deutschtürken Attila Selek, der sich in die Türkei abgesetzt hatte, wollte die Gruppe US-Soldaten in Discos, Kasernen und Flughäfen in die Luft sprengen.

Das dafür angekaufte und in zwölf Fässern zwischengelagerte Wasserstoffperoxid war von Ermittlern zuvor heimlich ausgetauscht worden. Es war der bisher größte, teuerste Einsatz deutscher Beamter gegen Terroristen. Auf einmal war der radikalisierte Konvertit als möglicher Attentäter sichtbar geworden. Fritz Gelowicz, lange als "Kopf" der Bande tituliert und Sohn aus gutem Ulmer Hause, war als Student der Ingenieurwissenschaften in seinen ganz persönlichen Krieg aufgebrochen.

Keine Chance beim frühzeitigen Erkennen eines Einzeltäters

Wo schon die Kontrolle über Terrorzellen oft versagen muss, ist es fast unmöglich, Einzeltäter rechtzeitig zu erkennen. Am 3. März 2008 sprengte sich in Afghanistan Cüneyt Cifti, 28, in die Luft und riss vier Soldaten mit in den Tod. Vor seiner Abreise hatte der Deutschtürke aus dem bayerischen Ansbach seinen Job bei Bosch gekündigt.

Er ist der erste Selbstmordattentäter aus Deutschland. Am 2. März dieses Jahres schoss der im Kosovo geborene Arid U., 21, am Frankfurter Flughafen auf US-Soldaten. Zwei Menschen starben, zwei wurden schwer verletzt. Im laufenden Prozess hat der Attentäter bereits ein Geständnis abgelegt. Er habe inzwischen allerdings erkannt, so U. vor dem Richter, dass die Tat "totaler Schwachsinn" gewesen sei.