Das achtjährige Gymnasium bleibt der Standard. Doch diese Regelung gilt vom kommenden Schuljahr an nicht mehr für alle Gymnasien.

Stuttgart - Der Kabinettsbeschluss steht. Im nächsten Schuljahr können die ersten 22 Gymnasien Modellversuche zum neunjährigen Gymnasium einrichten. Ein Jahr später sollen 22 weitere Schulen folgen. Für die erste Tranche endet die Anmeldefrist am 1.März. Gemeinden, die im Herbst 2013 starten wollen, müssen sich bis Dezember bewerben. Eltern sollen ihre Kinder bereits in der fünften Klasse für den acht- oder den neunjährigen Zug anmelden. Einen Rechtsanspruch auf den neunjährigen Bildungsgang gibt es nicht.

 

Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer (SPD) betont, "das achtjährige Gymnasium wird weiter der Standard bleiben." Mit den Schulversuchen wolle man ein Angebot schaffen, auch an allgemeinbildenden Gymnasien in neun Jahren zum Abitur zu kommen. Es handle sich um "eine Weiterentwicklung und keine Rückkehr zum bisherigen neunjährigen Gymnasium", erklärte die Ministerin. Die Schulen sollen erproben, an welcher Stelle ein zusätzliches Jahr am meisten Sinn mache. Es soll möglich sein, die Mittelstufe zu "entschleunigen", oder auch den Stoff der Klassen fünf bis zehn generell auf sieben Jahre zu verteilen. Alternativ kann die zweite Fremdsprache ein Jahr später eingeführt werden. Die abschließende zweijährige Kursstufe ist jedoch für acht- und neunjährige Züge gleich.

Infrage kommen Gymnasien, die mindestens vier Züge pro Jahrgang anbieten. Das sind laut Ministerium 194 der 377 öffentlichen Gymnasien im Land. Für kleinere Schulen käme das Angebot wesentlich teurer, weil neue Klassen eingerichtet werden müssten und nicht umgeschichtet werden kann. Das Kultusministerium erwartet, dass es in der Regel mindestens zwei G8- und zwei G9-Züge geben wird. Minimum für eine G9-Klasse sollen 16 Schüler sein. Die Regierung kalkuliert für den Schulversuch, der jeweils sieben Jahre dauern soll, 133 zusätzliche Lehrerstellen ein. Da während der Laufzeit jedes Jahr Fünftklässler aufgenommen werden, werden die letzten Teilnehmer der G9-Versuche planmäßig im Jahr 2028 Abitur machen.

Umstritten in der Landesregierung

Die Schulversuche waren in der Landesregierung umstritten. Die Grünen sperrten sich, sie wollten lieber das achtjährige Gymnasium weiter verbessern. Dort wird es in Zukunft eine Stunde mehr für die individuelle Förderung in den Klassen fünf und sechs geben. Die SPD dagegen wollte an 120 Schulen G9-Züge einführen. Der Städtetag meldete "berechtigte Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Schulversuche" an, der Philologenverband erklärte, es habe sich in Jahrzehnten gezeigt, dass neunjährige Gymnasien funktionierten. Baden-Württemberg hatte im Herbst 2004 auf das achtjährige Gymnasium umgestellt.

Das Friedrich-Schiller-Gymnasium in Marbach ist zur Teilnahme an den Versuchen entschlossen. Der Schulleiter Günter Offermann findet, "es muss viele Wege zu den Abschlüssen geben". Das sei die Philosophie seiner Schule und jeder Schulpraktiker wisse, "Optionen zu haben, ist für Kinder einfach gut". Für das mit 2400 Schülern größte allgemeinbildende Gymnasium Baden-Württembergs fällt das zusätzliche Angebot was die Kosten angeht, kaum ins Gewicht. Pro Jahrgang führe man zwischen zehn und zwölf Züge, sagt Offermann. Er rechnet damit, dass an seiner Schule für jeden G9-Zug zwölf bis 14 Stunden zusätzlich nötig wären, das wäre eine halbe Lehrerstelle.

Offermann betrachtet die Möglichkeit, in neun Jahren an einem allgemeinbildenden Gymnasium zum Abitur zu kommen, als "klugen Bypass", der nicht nur schwächeren Schülern nutzen könne. Vielseitig begabten Kindern mit vielen Interessen könnte es auch entgegenkommen, ein Jahr mehr zur Verfügung zu haben. Ballett, Violinunterricht, Handball, Pferd und achtjähriges Gymnasium ließen sich nur mit Mühe in einem Terminplan unterbringen. "Wenn die heutigen Mädchen hundert Jahre alt werden, kommt es doch auf ein Schuljahr mehr nicht an", meint der Rektor.

Opposition leht die Modellversuche ab

Die Genehmigung vorausgesetzt, ist in Marbach klar, dass das zusätzliche Schuljahr 7.1 heißen wird. Nach der sechsten Klasse gibt es am FSG keine Probleme, und in der achten sollen alle wieder zusammen sein, um die vielfältigen Angebote nutzen zu können. So beginne etwa Italienisch in der achten Klasse. "Wir wollen, dass alle Schüler an allen Angeboten teilnehmen können", begründet Offermann die Entscheidung, die ebenfalls einstimmig gefallen sei.

Die CDU-Opposition lehnt die Modellversuche als zu teuer ab, und verweist auf die beruflichen Gymnasien als Möglichkeit in neun Jahren Abitur zu machen. Dort wären die 133 zusätzlichen Stellen besser angebracht, meint die FDP. Die Mehrzahl der Eltern sei mit G8 überaus zufrieden, sagt die CDU. Die Arbeitgeber im Land halten die Versuche für ein "überflüssiges und kostspieliges Experiment".