Buchtipp Architektur Ausgezeichnete Tiny Houses und kleine Einfamilienhäuser in der Region Stuttgart

Kleines Haus in Brakel von Architektin Heike Falkenberg. Drei Bewohner teilen sich 90 Quadratmeter Wohnfläche. Foto: Reimund Braun/Callwey Verlag

Klein ist größer als man denkt. Das gilt vor allem für Tiny Houses und kleine Einfamilienhäuser, die Raumwunder sind. Das Kompendium „Kleine Häuser“ stellt 50 prämierte Projekte vor, darunter auch vier Häuser von Architekturbüros aus Stuttgart.

Bauen/Wohnen: Tomo Pavlovic (pav)

Ludwig Mies van der Rohe war nicht nur ein herausragender Architekt, er konnte auch im Unterschied zu den meisten Kollegen seine Vision von der Reduktion und Klarheit beim Entwerfen von Bauten in ebenso einfache wie prägnante Worte fassen. Mit seinem mittlerweile inflationär gebrauchten Leitspruch „Weniger ist mehr“ erfand Ludwig Mies van der Rohe in den 1940er Jahren das Sehnsuchtsmotto nachfolgender Generationen, die in einer möglichst minimalistischen Gestaltung die höchste Form der Eleganz entdecken. In der Theorie klingt das gut, doch in der Praxis wird so ein Leitspruch schnell zum Fluch. Schließlich kann die eigentlich widersinnige Behauptung „Weniger ist mehr“ nur dann eingelöst werden, wenn man bei der Planung und Ausstattung die richtigen Entscheidungen trifft. Minimalismus bedeutet nämlich: Verzicht.

 

Das Autorenduo Katharina Matzig und Wolfgang Bachmann hat sich für sein bildstarkes Kompendium „Kleine Häuser“ auf Eigenheime konzentriert, die mit einer Wohnfläche von 34 bis zu 150 Quadratmetern wirklich oder auch nur verhältnismäßig klein ausgefallen sind, je nach Perspektive und Anzahl der im Gebäude wohnenden Personen. Das kleinste Haus mit 34 Quadratmetern für drei Bewohner steht im Landkreis Gießen an einem Baggersee. Unter den 50 vornehmlich aus dem deutschen Sprachraum vorgestellten Beispielen sind also auch die viel gepriesenen Tiny Houses, die besonders die Fantasie jüngerer Menschen befeuern.

Tiny House in Esslingen von Thomas Sixt Finckh aus Stuttgart. Foto: Thomas Sixt Finckh

Dazu gehört auch ein avantgardistisches, in Stahlbeton- und Holzrahmenbauweise erstelltes Tiny House in Esslingen. Konzipiert und realisiert hat es der Stuttgarter Architekt Thomas Sixt Finckh auf einem ehemaligen Parkplatz. Das Restgrundstück war außerordentlich schmal, der Kostenrahmen beschränkt. Für die Verkleidung wurden preiswerte Wellzementplatten verwendet, innen wurde der Beton roh belassen. Das Ergebnis: ein scharf geschnittenes, futuristisch anmutendes Tiny House (75 Quadratmeter) für ein junggebliebenes Rentnerehepaar.

Die vorgestellten Häuser wurden aber nicht immer neu gebaut, es sind auch Umbauten darunter. Die Beschränkungen durch eng geschnittene oder stark am Hang liegende Baugrundstücke und knappe Budgets führten im besten Fall zu beispielhaften Kreativschüben. Die Architekturbüros müssen allerdings auch mit den Bauherrschaften über den Gewinn durch Verzicht verhandeln. Effizienz und Nachhaltigkeit stehen im Vordergrund. Alles wird hinterfragt, was anscheinend Standard ist, um Wohnraum durch Weglassen zu schaffen: Keller, Dachböden und Rasenflächen müssen ja nicht unbedingt sein. Fassaden können auch aus Wellblech, Cortenstahl oder Polycarbonatplatten gefertigt werden.

Als wahre Verpackungskünstler haben sich Katja Knaus und Benedikt Bosch vom Architekturbüro Yonder aus Stuttgart hervorgetan: die beiden haben auf einer kompliziert zu bebauenden Restfläche in der Ortsmitte eines Tuttlinger Stadtviertels ziemlich perfekt nachverdichtet und ein sehenswertes Haus mit einer tiefschwarzen Textilfassade eingehüllt. Mit dem ebenfalls schwarzen Stehfalzblechdach hebt sich der Baukörper deutlich und dennoch dezent von seiner verschachtelten Nachbarschaft ab.

Luxuriöses Poolhaus – echt jetzt?

Weniger ist tatsächlich mehr, wenn das Ergebnis nicht nur eine rein ökonomisch-ökologische Sparaktion ist, sondern auch ästhetisch und formal überzeugt: Die 50 vorgestellten kleinen Wohngebäude wurden deswegen allesamt von renommierten Jurorinnen und Juroren bei den Wettbewerben „Häuser des Jahres“ des Callwey Verlages im Zeitraum 2016 bis 2022 ausgewählt. Die Auswahl ist größtenteils nachvollziehbar und inspirierend, die eine oder andere Wahl scheint allerdings diskussionswürdig zu sein.

Ein 125 Quadratmeter großes Poolhaus von den Architekten Maximilian Luger & Franz Maul aus Wels. Foto: Callwey.de/Walter Ebenhofer

Ein schickes, formschönes Poolhaus mit Flachdach als privates Urlaubsdomizil im österreichischen Schwertberg mag in gewissen Kreisen vielleicht bescheiden wirken, steht aber in Wahrheit eher für die These, die der amerikanische Architekt und Postmodernist Robert Venturi als ironische Variation zum Motto von Mies van der Rohe formulierte: „Mehr ist nicht weniger.“ Menschen mit eigenen Badehäusern sind selten Verzichtsapostel.

Dass neben den beiden erwähnten Architekturbüros noch zwei weitere aus Stuttgart kommen, ist erfreulich. Amunt Nagel Theissen Architekten sind mit einem modernen Schwarzwaldhaus in Menzenschwand vertreten. Und das Büro von Stephan Birk, Liza Heilmeyer und Martin Frenzel hat für ein überschaubares Budget von nur 300 000 Euro ein energetisch optimiertes Haus mit 130 Quadratmeter Wohnfläche für eine junge Familie in Waiblingen-Beinstein gebaut, mit Aluminiumwellblech als Fassade. Weniger ist auch in diesem Fall tatsächlich mehr. Man kann, wenn man muss.

Das Buch

Kleine Häuser
Eine Zusammenstellung der 50 schönsten kleinen Häuser von Katharina Matzig und Wolfgang Bachmann, erschienen im Callwey Verlag, München. 208 Seiten, 45 Euro. www.callwey.de

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