In einem prächtigen Fotoband zu ikonischer Architektur weltweit findet sich Le Corbusiers Haus in der Stuttgarter Weissenhofsiedlung. Welch eine Ehre: Es ist das einzige Beispiel aus Deutschland.

Bauen/Wohnen: Tomo Pavlovic (pav)

Der Begriff Ikone kann missverständlich sein. Ikonen bezeichnen normalerweise Kult- und Heiligenbilder, die überwiegend in den Ostkirchen von orthodoxen Christen verehrt werden. Wenn also das Einfamilien- und das Doppelhaus von Le Corbusier und Pierre Jeanneret in der Weissenhofsiedlung in Stuttgart zu den „Ikonen der Moderne“ geadelt, ja als solche heiliggesprochen werden, denken die einen an Blasphemie, die anderen aber an die quasireligiöse Anbetung der Architektur.

 

Weihestätten der Moderne

Tatsächlich ähneln Fans der Architektur, die in der 1927 errichteten Experimentalsiedlung in Stuttgart sichtlich ergriffen vor den Bauten von Le Corbusier, Ludwig Mies van der Rohe, Mart Stam oder Peter Behrens stehen, Gläubigen oder Pilgern eines Wallfahrtsortes. So wie Le Corbusiers Haus mit der kubischen Form gelten auch andere Bauten mittlerweile als ikonisch, also beispielhaft für gelungene Wohnarchitektur: Ludwig Mies van der Rohes berühmter Glasbungalow für Edith Farnsworth im US-amerikanischen Plano, Eileen Grays Villa E-1027 an der Côte d’Azur oder auch die wunderschön ins kalifornische Hinterland eingebetteten Häuser von Richard Neutra. Wer all diese sakralen Weihestätten der modernen Architektur noch nicht besucht hat, kann sich nun ein Bild davon machen – und zwar mit Hilfe des Fotobands „Modernist Icons“, der im Gestalten Verlag erschienen ist.

Keine Sorge, es ist keine Bibel geworden, die Textmenge hält sich in Grenzen. Von der funktionalen Formensprache über schlanke Linien bis zur raffinierten Eleganz zeitloser Klassiker beleuchten die Herausgeber von „Modernist Icons“ den kreativen Aufbruch von Architektur und Interior-Design und zeichnen anhand aktueller Beispiele nach, welche Bedeutung sie bis heute für unsere Auffassung von guter, angemessener Architektur haben.

Angemessen meint hier das ausbalancierte Verhältnis von Mensch und gebautem Raum, von Bewohner und Bewohntem. Die ausnahmslos fotografisch wunderschön inszenierten und ausgeleuchteten Häuser sind nur selten Signature-Bauten – mit Ausnahme vielleicht von Oscar Niemeyers futuristisch anmutenden Entwürfen –, meist fügen sich die Gebäude bescheiden in die Umgebung ein oder nehmen Bezüge der unmittelbaren Umwelt respektvoll auf.

Mit Texten (auf Englisch) und umfangreichem Bildmaterial vermittelt „Modernist Icons“ einen umfassenden Überblick über diesen sogenannten ikonischen Stil, entstanden in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Allen vorgestellten Häusern ist gemein, dass sie den Sinn und Zweck der eigentlich pragmatischen Architektur adeln, die – wenn sie im kollektiven Gedächtnis haften bleiben soll –, weit mehr ist als nur die Formgebung, die sich aus der Funktion ergibt.

Das Buch

Modernist Icons
Midcentury Houses and Interiors“, hg. von Robert Klanten und Masha Erman. Gestalten Verlag, 316 Seiten, 60 Euro. gestalten.com