Keine Partei in Deutschland dreht sich so sehr um eine Person wie das Bündnis Sahra Wagenknecht. Der Politologe Wolfgang Schroeder erklärt, wie die Erfolgsaussichten der Partei sind und warum die Persönlichkeit von Politikern so wichtig ist.
Parteien, die nach einer Person benannt sind, sind in Deutschland selten. Doch nicht nur deshalb ist das neu gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht ein Exot im politischen Parteiensystem Deutschlands. Denn auch sonst dreht sich hierzulande in keiner anderen Partei so viel um eine Person wie beim Bündnis.
Herr Schroeder, keine andere Partei in Deutschland ist so personalisiert wie das Bündnis Sahra Wagenknecht. Kann das funktionieren?
Man darf nicht vergessen, dass Sahra Wagenknecht bereits in der Vergangenheit Aushängeschild einer Partei war – mit mäßigem Erfolg. Ihre Erfolge als NRW-Spitzenkandidatin der Linken lagen unter dem Durchschnittsergebnis ihrer Partei auf Bundesebene. Anderseits ist das Gelegenheitsfenster des Jahres 2024 nicht zu unterschätzen, weil die Europawahl von vielen Menschen dazu genutzt wird, um mal eine andere Partei zu wählen als sonst. Ob es die Partei 2025 in den Bundestag schafft, wird vermutlich davon abhängen, ob sie bei der Europawahl und den Landtagswahlen schon gut abgeschnitten hat.
Was unterscheidet das Bündnis Sahra Wagenknecht von gewöhnlichen Parteien?
Erstens ist sie gerade erst entstanden. Also eine junge Partei, die in Zeiten von Unzufriedenheit mit dem bestehenden Angebot durchaus eine neue Alternative sein kann. Zweitens durch die starke Konzentration auf eine Person. Und drittens durch ihre Parteistruktur. Beim Bündnis Sahra Wagenknecht wird nach dem Top-Down-Prinzip alles von oben nach unten durchgegeben. Es wird alles dafür getan, dass es weder Störgeräusche gibt, noch dass sich Flügelkämpfe entfachen.
Wo würden Sie das Bündnis Sahra Wagenknecht im politischen Spektrum verorten?
Die Partei vertritt auf der einen Seite eine gesellschaftlich konservative Position. Auf der anderen Seite weist sie eine starke Sozialstaatsorientierung auf. In einigen Punkten hat die Partei auch Ähnlichkeiten mit der AfD. Vor allen Dingen, wenn es um die Kritik an den herrschenden Verhältnissen geht. Mit ihrer prorussischen Position ist sie auf Bundesebene nur an die AfD anschlussfähig. Die sozialpolitische Position ist dagegen fast deckungsgleich mit der Linken und der SPD. Daher ist eine Verortung im Links-Rechts-Schema kaum möglich.
Gibt es auch in anderen Ländern personalisierte Parteien?
In weniger strukturierten Parteisystemen, wie in Frankreich, spielen Einzelpersonen schon immer eine größere Rolle. Bestes Beispiel ist Emmanuel Macron, der vor der Präsidentschaftswahl 2017 eine eigene Partei aus dem Nichts gründete und damit den Durchmarsch schaffte. In Österreich hat der ehemalige Bundeskanzler Sebastian Kurz versucht, die traditionelle konservative ÖVP in eine personalisierte Partei zu verwandeln, womit er nach anfänglichen Erfolgen jedoch bald scheiterte.
Wird Politik immer personalisierter?
Das ist eine schwierige Frage. Historisch erlebten wir die höchste Form der Personalisierung in totalitären Parteien von Hitler über Mussolini bis hin zu Putin. Aber auch unter demokratischen Verhältnissen kann der personale Faktor eine herausragende Rolle spielen. Denken wir nur an Adenauer, der die CDU lange Jahre dominierte oder an Strauß und seine Rolle in der CSU. Vielleicht müsste man nicht sagen, dass die Personalisierung zunimmt; sie wird vielmehr anders. Gegenwärtig spielt in Deutschland das Bild personalisierter Dominanz vor allem für die FDP mit Christian Lindner und die CSU mit Markus Söder eine herausragende Rolle.
Warum ist die Persönlichkeit von Politikern so wichtig?
Wir leben in einer Kommunikationsgesellschaft, in der charismatische Personen am ehesten dazu beitragen können, das hohe Komplexitätsniveau von Politik zu reduzieren. Als Projektionsfläche können sie besser die Mehrheiten erreichen, vor allem jene, die eher unpolitisch sind. Sonst wirken Parteien als reine Machtmaschinen auf Menschen. Also zu weit weg und damit nicht dialogfähig und emotional genug.
Was muss die zentrale Person von personalisierten Parteien mitbringen?
Sie muss die Fähigkeit haben, die Gefolgschaft der anderen Personen in ihrer Partei zu erreichen. Dafür braucht sie eine hohe Selbstdisziplin, eine charismatische Ausstrahlung, den Glauben an sich selbst und eine hohe Medientauglichkeit. Entscheidend ist aber, dass sie von den Wählern als Träger ihrer Hoffnungen oder ihrer Vorstellung von Politik begriffen wird.
Verfügt Sahra Wagenknecht über diese Fähigkeiten?
Bisher war sie als Einzelgängerin bekannt, die zwar viele Bewunderer besitzt; aber ob diese im Sinne der Parteidisziplin die Dimension der Gefolgschaft ausmachen, muss sich erst zeigen. Zudem wird ihr trotz der zentralen Position abverlangt, als Teamplayerin zu agieren und andere einzubinden, wenn sich ihr Laden am Ende nicht nur mit sich selbst befassen soll. Ob dies funktioniert, ist offen. Eine Stärke von Wagenknecht ist, dass sie stets klare Worte findet und ihre Positionen unabhängig von der herrschenden Meinung vertritt.
Was trauen Sie dem Bündnis Sahra Wagenknecht bei der nächsten Bundestagswahl zu?
Ich halte drei Szenarien für realistisch: Erstens, dass das Bündnis von seiner Neuheit, Struktur und der Schwäche der anderen Parteien profitiert und in den Bundestag einzieht. Zweitens, dass die Partei an ihren teils widersprüchlichen Positionen scheitert und schnell wieder von der politischen Bildfläche verschwindet. Und drittens, dass sich die Partei als Kleinstpartei etabliert.
Wäre die Partei auch ohne Sahra Wagenknecht lebensfähig?
Das Bündnis könnte weiter existieren, jedoch vermutlich nur als Kleinstpartei. Denn die Attraktivität der Partei würde ohne Sahra Wagenknecht stark einbüßen. Und eine neue Führungspersönlichkeit mit dem Bekanntheitsgrad von Sahra Wagenknecht zu finden, wäre alles andere als einfach.
Zur Person
Berufliches
Wolfgang Schroeder ist Politikwissenschaftler an der Universität Kassel. Seine Forschungen beschäftigen sich mit dem politischen System der Bundesrepublik Deutschland und dessen Wandel. Vor seiner Anstellung als Professor war er in verschiedenen Positionen für die IG Metall tätig.