Nach dem Aus der Links-Fraktion im Bundestag hat Sahra Wagenknecht ihre Partei gegründet. Was sind die Ziele? Wann steht sie zum ersten Mal zur Wahl? Fragen und Antworten auf diese und weitere Fragen.

Digital Desk: Michael Bosch (mbo)

Die Parteienlandschaft in Deutschland ist um eine Partei gewachsen. An diesem Montag hat die ehemalige Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht ihre Partei „Bündnis Sahra Wagenknecht“, kurz BSW, gegründet. Ein Verein hatte die Parteigründung seit dem Austritt einiger Mitglieder aus der Fraktion der Linken vorbereitet.

 

Die 54-jährige Wagenknecht wirbt nach ihrem Bruch mit der Partei Die Linke ausdrücklich für eine Begrenzung der Migration. Sie will das „Label“ links für sich gar nicht mehr nutzen. Vielmehr verspricht sie eine Politik für die „Mitte der Gesellschaft“ und will nicht weniger als einen „politischen Neuanfang“ für die gesamte Republik.

Wann steht das Bündnis Sahra Wagenknecht erstmals auf dem Wahlzettel?

Die erste Bewährungsprobe für die neu gegründete Partei wird die Europawahl am 9. Juni 2024. Wagenknecht erhofft sich dabei ein zweistelliges Ergebnis. Eine Fünf-Prozent-Hürde wie Landtags- oder Bundestagswahlen gibt es dabei nicht, sodass die Chancen auf einen Einzug ins Europaparlament relativ gut stehen.

Schwieriger dürfte das bei den Landtagswahlen im Herbst in Ostdeutschland werden. Dort will das BSW vor allem der AfD Stimmen abjagen, die in den Umfragen im Osten derzeit vorne liegt. Die Partei wird vom Bundesverfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft, in Sachsen und Thüringen gilt sie als gesichert rechtsextrem.

In gleich drei Bundesländern sind die Wählerinnen und Wähler aufgerufen neue Landesparlamente zu wählen: eben in Thüringen und Sachsen. Dort wird am 1. September gewählt. In Brandenburg findet die Landtagswahl am 22. September statt. Längerfristiges Ziel der Partei ist die Bundestagswahl im kommenden Jahr. Der genaue Termin steht noch nicht fest, die Wahl muss aber an einem Sonntag oder gesetzlichen Feiertag zwischen Mittwoch, dem 27. August 2025 und Sonntag, dem 26. Oktober 2025 liegen.

Wer steht hinter dem BSW?

Wagenknecht war nach dem Eintritt in die DDR-Staatspartei SED 1989 jahrzehntelang eines der bekanntesten Gesichter der Folgeparteien PDS und Die Linke. Eloquent, klug und kampfeslustig ist die studierte Philosophin mit Doktortitel im Fach Wirtschaft Liebling der Talkshows und Bestseller-Autorin. Nach jahrelangem Streit mit der Linken trat sie am 23. Oktober 2024 mit neun weiteren Bundestagsabgeordneten aus und kündigte die Parteigründung an.

Der zur Vorbereitung gedachte Verein BSW sammelte etwa 1,4 Millionen Euro Spenden als Startkapital für die Partei, wie BSW-Schatzmeister Ralph Suikat dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) mitteilte.

Wer sind neben Wagenknecht die führenden Köpfe?

Die führenden Köpfe neben der Politikerin sind folgende:

  • Amira Mohamed Ali, frühere Chefin der Linksfraktion im Bundestag
  • Christian Leye, Bundestagsabgeordneter

Beide sind Wagenknechts treuesten Verbündete. Mohamed Ali leitet nun in einer Doppelspitze mit Wagenknecht die Partei, Leye wird Generalsekretär.

  • Fabio De Masi, frühere Linken-Europaabgeordnete
  • Thomas Geisel, langjähriger Sozialdemokrat und früher Oberbürgermeister von Düsseldorf

De Masi und Geisel werden Spitzenkandidaten für die Europawahl. Vor allem die Einbindung von Geisel gilt als Coup. Von seiner Ex-Partei verabschiedete er sich mit den Worten, seine „sozialdemokratischen Grundsätze“ seien im BSW eher vertreten als in der SPD.

Wie kann man Mitglied werden?

Die Wagenknecht-Partei will erst einmal „langsam und kontrolliert wachsen, um das Projekt nicht zu gefährden“, heißt es. Zur Gründung sollen nun zunächst 450 Mitglieder aufgenommen werden. Ihre politische Einstellung und Vorgeschichte wurden systematisch geprüft, etwa anhand öffentlicher Äußerungen in sozialen Netzwerken. Man wolle nicht in die Falle tappen, Menschen aufzunehmen, die sich nicht konstruktiv einbrächten oder das Programm mittrügen, sagte Wagenknecht in einer Pressekonferenz. „Deshalb müssen wir da ein bisschen genauer hingucken.“

Außerdem könne die Bearbeitung der Mitgliedsanträge „aufgrund der noch sehr geringen Partei-Ressourcen einige Zeit in Anspruch nehmen“, schreibt das BSW auf seiner Homepage. Dort kann man auch einen Mitgliedsantrag per Mail beantragen.

Was will das BSW politisch?

Das am Montag veröffentlichte Parteiprogramm ist mit fünf Seiten nach wie vor sehr dünn. Es entspricht dem „Gründungsmanifest“, das seit Oktober bekannt ist. Obwohl die BSW-Führung am Montag zwei Stunden Rede und Antwort bei der Pressekonferenz stand, blieb vieles vage.

Doch hat Wagenknecht ihre Positionen in ihrem Buch „Die Selbstgerechten“ umrissen und in Dutzenden Interviews präzisiert. Dazu zählen: Begrenzung der Migration, Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine und der Energiesanktionen gegen Russland, weitere Nutzung von billigem Gas und Öl, kein Aus für den Verbrennermotor, Abkehr von „vermeintlicher Klimapolitik“.

Wagenknecht plädiert für höhere Mindest- und Tariflöhne und bessere Leistungen der Arbeitslosen- und Rentenversicherung, selbst wenn dies höhere Beiträge bedeutet. Der Staat soll mehr Geld in Bildung und Infrastruktur stecken und dafür die Schuldenbremse lockern sowie Vermögen und hohe Einkommen stärker besteuern.

Während der Corona-Pandemie zeigte sich Wagenknecht skeptisch gegen Beschränkungen und Impfungen. Sie geißelt „Sprachkampf“ und „Cancel Culture“. „Der moralisierende Linksliberalismus ist längst in einen neuen Autoritarismus gekippt, der totalitäre Züge trägt“, behauptet sie in „Die Selbstgerechten“.

Ist die Partei eher links oder eher rechts?

„Das Rechts-Links-Schema kommt da an seine Grenzen“, sagt der Trierer Parteienforscher Marius Minas. In ökonomischen Fragen sei sie eher links, in gesellschaftlichen eher rechts. Es gebe eine Lücke im Parteiensystem, die sie ausfüllen könnte, meint Minas. „Ich gehe davon aus, dass die Partei darauf abzielt, sowohl bei der AfD als auch bei der Linken Wähler zu gewinnen, die nicht parteigebunden sind.“

Der Düsseldorfer Politikwissenschaftler Thomas Poguntke sieht eine „Angebotslücke“ auch seitens der SPD. „Ihr wird schon eine Weile nachgesagt, dass sie sich zum Teil mehr um die Nicht-Arbeitenden als um die Arbeitenden kümmert. Zudem sagen viele auch auf der Linken, dass der Sozialstaat nur finanzierbar sei, wenn man die Migration in den Griff bekomme.“

Wagenknecht selbst sagte bei der ersten Pressekonferenz nach der Neugründung, dass viele Menschen hierzulande mit den Labels „links“ und „rechts“ nichts mehr anfangen könnten. Das sei ein „Kernproblem“. Was die „linke Identität“ betreffe, wolle sie sich für mehr Gerechtigkeit in der Gesellschaft einsetzen. „Für viele Menschen ist ‚links’ heute mit ganz anderen Debatten besetzt“, so Wagenknecht, „da geht es um Gender-Fragen, da geht es um Lifestyle-Fragen – und davon fühlen sie sich nicht mehr vertreten. Und deshalb werden wir diese Labels nicht für uns benutzen.“

Wie stehen die Chancen für die neue Partei?

Parteienforscher Poguntke kommt zu dem Schluss: „Unter dem Strich gibt es durchaus ein Potenzial für die Wagenknecht-Partei.“ Nach einer Insa-Umfrage für „Bild“ vom Dezember könnte BSW bundesweit auf 12 Prozent kommen. Doch bleiben Unwägbarkeiten. „Eine Parteigründung in Deutschland ist nicht leicht“, sagt Poguntke. „Wer bundesweit antreten will, muss in allen 16 Bundesländern organisiert sein mit Landesverbänden, Statuten, Grundsatzprogramm und so weiter.“

Der Zeitpunkt sei günstig, meint der Experte. „Die Hürden für eine neue Partei sind bei der Europawahl niedriger, weil man mit einer Bundesliste antreten kann.“ Profitieren könne das BSW vom großen Unmut über die etablierten Parteien. Auch Wagenknechts Bekanntheit helfe. Doch hat das eine Kehrseite: „Die Partei ist sehr stark auf Frau Wagenknecht zugeschnitten“, sagt Poguntke. „Normalerweise brauchen Parteigründungen etwas mehr Breite beim Personal und auch in der Fläche. Es wird interessant zu sehen, ob das funktioniert.“