Die Baden-Württemberger sehen bei der Bürgerbeteiligung noch Luft nach oben. Hochgebildete sind jedoch skeptischer gegenüber Plebisziten als Menschen mit niedrigerem Bildungsniveau.

Stuttgart - Die Volksabstimmung zu Stuttgart 21 vom November 2011 war gut. Auch mit einigem zeitlichen Abstand bewerten 72 Prozent der Bürger es unverändert als gut, dass es das Plebiszit gegeben hat. Das geht aus einer Befragung des Mannheimer Instituts für Europäische Sozialforschung hervor. Gisela Erler, die Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung, sieht die Landesregierung bestätigt. „Der Weg, den Konflikt über die Volksabstimmung zu lösen, war der richtige“. Diese Einschätzung teilen viele Bürger. 67 Prozent der Befragten betrachten Volksabstimmungen als gutes Mittel um wichtige politische Fragen zu entscheiden.

 

Weniger Gebildete wollen mehr Mitsprache

Dabei sind diejenigen, die sich selbst als hoch gebildet einstufen, zurückhaltender als die Bürger, die ihr Bildungsniveau als niedrig betrachten. 60 Prozent der Gebildeten begrüßen Volksabstimmungen, bei den weniger Gebildeten sind es fast zehn Prozent mehr. Der Befund überrascht die Staatsrätin nicht: „Weniger Gebildete wollen generell mehr direkte Demokratie“. Gisela Erler führt das auf ein „diffuses Unbehagen gegenüber dem System“ zurück. Der Politikwissenschaftler Thorsten Faas, der die Studie im Auftrag der Regierung leitete, sieht in dem Ergebnis einen Auftrag an die politische Bildung.

Überhaupt findet die Hälfte der Baden-Württemberger, habe sich die Demokratie im vergangenen Jahr positiv entwickelt. 22 Prozent nehmen jedoch eine Verschlechterung war. Manches ist auch einfach an der Bevölkerung vorbei gegangen. 70 Prozent der Baden-Württemberger haben noch nie vom Filderdialog gehört, den die grün-rote Koalition als wegweisend für frühe Bürgerbeteiligung gepriesen hat. Auch in Stuttgart hat jeder dritte keine Ahnung, was sich hinter dem Schlagwort verbirgt. Selbst in der Gruppe derer, die politisch sehr interessiert sind, ist jeder Zweite nicht im Bilde. Nichtsdestotrotz sind mehr als die Hälfte der Befragten dafür, Bürger stärker in die Planung von Bauprojekten einzubeziehen.

Bürger offen für Veränderungen

Generell seien die Baden-Württemberger zufrieden mit dem Status Quo der direkten Demokratie, aber offen für weitere Veränderungen, konstatiert Thorsten Faas. „Es besteht politischer Gestaltungsspielraum“. Den will die Regierung nutzen. Erler ist „sehr optimistisch“, dass im nächsten Jahr eine Verfassungsänderung möglich wird, die die Hürden für die direkte Demokratie senkt. „Die Opposition wird sich bewegen“, sagt Erler. Mit einem Null-Quorum rechnet sie aber nicht. Bereits im Januar würden die interfraktionellen Gespräche zur Änderung der Verfassung und der Gemeindeordnung fortgesetzt. Im Februar gehe eine Internetplattform des Landes online, die „für alle Planungen, an denen das Land beteiligt ist, eine sehr frühe Bürgerbeteiligung ermöglicht“.

Im Internet ganz vorne

Alle Gesetze kämen auf die Plattform, die Bürger könnten die Einwände sehen und ergänzen. „Das gibt es in dieser Breite in keinem anderen Land“, erläuterte die Staatsrätin. Erler ist zuversichtlich: „Ende des nächsten Jahres werden wir ein gefestigtes Repertoire zur Bürgerbeteiligung haben“. Der Verein „Mehr Demokratie“ sieht alle Parteien in der Pflicht, wirksame Reformen zu erarbeiten.

Telefonische Befragung


Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie in Baden-Württemberg“ nimmt Thorsten Faas, ehemals Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung, jetzt Uni Mainz, schon seit November 2011 unter die Lupe. Es folgte eine Untersuchung im Dezember 2011. Die aktuelle Auswertung beruht auf einer telefonischen Befragung vom August. Zwischen dem 13. August und dem 3. September wurden 1000 wahlberechtigte Baden-Württemberg und zusätzlich 700 Stuttgarter befragt. Ausgewählt wurde aus Privathaushalten mit Festnetzanschluss. Ein Forschungsziel ist die Evaluation der Rezeption der Volksabstimmung mit größerem zeitlichen Abstand.