Mehr Bürgerbeteiligung – das ist das zentrale Versprechen, mit dem die grün-rote Koalition nach der Landtagswahl 2011 angetreten ist. Bisher jedoch hat sich noch nicht allzu viel getan.

Stuttgart - Mehr Bürgerbeteiligung – das ist das zentrale Versprechen, mit dem die grün-rote Koalition nach der Landtagswahl 2011 angetreten ist. Staatsrätin Gisela Erler (Grüne), die Fachfrau für mehr Demokratie im Stuttgarter Staatsministerium, sagte unlängst: „Immer mehr Menschen werden an immer mehr Stellen erfahren, dass sich etwas ändert.“

 

Bisher jedoch hat sich noch nicht allzu viel getan. „Der Lackmustest für das ernsthafte Bemühen um die Bürgergesellschaft steht noch aus“, sagt Reinhard Hackl vom Verein Mehr Demokratie. Zwar wird hinter den Kulissen an verschiedenen Stellen gewerkelt, in Gesetze aber haben sich die Bemühungen nicht niedergeschlagen, sieht man mal von der überraschend aus dem Hut gezogenen Landesverfassungsbeschwerde ab, die im Koalitionsvertrag noch gar nicht vorgesehen war.

Stillstand herrscht bei der avisierten Verfassungsänderung, mit der Volksabstimmungen auf Landesebene erleichtert werden sollen. Dazu bedarf Grün-Rot einer Zweidrittelmehrheit im Landtag, die nur mit der CDU zu erreichen ist. Doch so schnell macht die CDU den Weg nicht frei. Man arbeite an einem Gesamtkonzept für mehr Bürgerbeteiligung, heißt es in der Fraktion. „Nur mit der Absenkung des Zustimmungsquorums ist es nicht getan.“ Zwar zeigt sich die FDP kompromissbereit – sie votiert für ein 20-Prozent-Quorum statt des Drittelquorums –, doch die Liberalen allein helfen der Koalition nicht weiter.

Einfacher verhält es sich mit den Bemühungen um mehr direkte Demokratie auf kommunaler Ebene. Die einschlägigen Vorschriften lassen sich allein mit der grün-roten Mehrheit im Parlament ändern. So haben sich die Unterhändler von Grünen und SPD darauf geeinigt, das Mindestalter für das aktive Wahlrecht bei Kommunalwahlen auf 16 Jahre zu senken. Aktives Wahlrecht bedeutet: Jugendliche dürfen vom 16. Lebensjahr an wählen. Zur Wahl stellen – passives Wahlrecht – dürfen sie sich noch nicht.

Korrekturen im Kommunalwahlrecht

Nach Angaben des SPD-Innenpolitikers Walter Heiler verständigten sich Grüne und Sozialdemokraten auf weitere Korrekturen im Wahlrecht. Bei Kreistagswahlen sollen künftig Kandidaturen in zwei Landkreisen nicht mehr möglich sein – dies hatte die CDU einst den unter Kandidatenmangel darbenden Liberalen zugestanden. Außerdem wird das Berechnungsverfahren für die Sitzverteilung umgestellt. Der Durchbruch zu mehr Demokratie ist das alles aber mitnichten.

Mehr Futter für mehr Bürgerbeteiligung verspricht die Reform der Gemeindeänderung, wo es darum geht, Bürgerbegehren und Bürgerentscheide zu erleichtern. Allerdings hakt es an diversen Stellen. Im fachlich zuständigen Innenministerium heißt es vielsagend: „Die Regierungsfraktionen befinden sich in intensiven Diskussionen.“ Das gilt für die Senkung des Zustimmungsquorums bei Bürgerentscheiden auf kommunaler Ebene. Das Quorum liegt derzeit bei 25 Prozent, was bedeutet, dass für den Erfolg die Mehrheit allein nicht ausreicht, sie muss zugleich ein Viertel der Stimmberechtigten umfassen. Aus den Reihen der Grünen wird bedeutet, dass sie mit einer Regelung liebäugeln, wie sie in Thüringen praktiziert wird. Dort gibt es ein gestuftes Verfahren, das für kleinere Kommunen bis 10 000 Einwohner ein Zustimmungsquorum von 20 Prozent vorsieht. Bis 50 000 Einwohner gilt ein Quorum von 15 Prozent, bei Städten mit mehr als 50 000 Einwohnern reichen zehn Prozent.

Einig sind sich Grüne und SPD noch nicht. Andreas Stoch, der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, will in dieser Frage für die Verhandlungen mit der CDU flexibel bleiben. Er hält es für sinnvoll, für Volksabstimmungen auf Landesebene und Bürgerentscheide in den Kommunen dasselbe Quorum festzuschreiben. „Wir sollten einen Gleichlauf haben.“

Wann kommt das Reformpaket?

Unklar ist außerdem, wie weit sich Bürgerentscheide auf Bebauungspläne erstrecken dürfen. In der Gemeindeordnung sind bis jetzt – anders als etwa in Bayern – Bauleitplanung und örtliche Bauvorschriften von Bürgerentscheiden ausgenommen. Die Grünen wollen das ändern. Der SPD-Abgeordnete Walter Heiler, Bürgermeister der Stadt Waghäusel (Kreis Karlsruhe), kann sich vorstellen, dass Grundsatzbeschlüsse etwa über die Ausweisung von Baugebieten für Bürgerentscheide geöffnet werden. Wenn das Verfahren aber erst einmal laufe, müsse Rechtssicherheit herrschen. Einen Konsens in der Koalition gibt es noch nicht.

Einig ist man sich dagegen, die Frist für Bürgerbegehren zu verlängern. Nach der Gemeindeordnung ist ein Bürgerbegehren gegen einen Gemeinderatsbeschluss nur zulässig, wenn der Antrag spätestens sechs Wochen nach Bekanntgabe der Gemeinderatsentscheidung eingereicht wird. Diese Frist soll auf drei Monate verlängert werden. Zu Oppositionszeiten hatten SPD und Grüne noch gefordert, die Frist zu streichen. In dem Papier aus Oppositionszeiten versprachen SPD und Grüne auch Bürgerentscheide in den Landkreisen. Reinhard Hackl von Mehr Demokratie sagt: „Die Regierung muss jetzt dazu stehen, was sie in der Opposition gefordert hat.“

In den nächsten zwei, drei Wochen wollen die Regierungsfraktionen mit ihrem Reformpaket zu Potte kommen, um dann – wie schon im Januar – mit der Opposition über das geforderte Gesamtpaket, das die Landesverfassung wie auch die Gemeindeordnung und das Kommunalwahlgesetz umfasst, zu reden. Das Ende ist offen.