Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem Grundsatzurteil hohe Ansprüche an die Risikoaufklärung vor Lebend-Organspenden gestellt. Geklagt hatten zwei Nierenspender.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Karlsruhe - Ärzte müssen Organspender ausreichend über die Risiken aufklären. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) geurteilt. Sie können sich nicht mehr mit dem Argument verteidigen, er hätte doch sowieso dem nahen Angehörigen sein Organ gestiftet – auch wenn er die Gefahren im Detail gekannt hätte.

 

Die Fälle

Grundlage für die Entscheidung waren zwei Fälle von Lebendspenden. Zum einen hatte ein Mann seine Niere für seine Ehefrau gespendet, die Dialysepatientin war. Im anderen Fall hatte eine Arzthelfern ihre Niere an ihren erkrankten Vater gespendet. Beide Transplantationen wurden im Universitätsklinikum Essen durchgeführt. Beide Spender litten nach der Operation an chronischer Müdigkeit. Sie wurden ebenfalls anerkannt nierenkrank und waren nicht mehr arbeitsfähig.

Die Aufklärungspflichtverletzung

Das Transplantationsgesetz macht den Ärzten genaue Vorgaben, worüber Spender aufzuklären sind. Außerdem muss ein unbeteiligter, neutraler Arzt bei dem Aufklärungsgespräch dabei sein und der Inhalt des Gesprächs protokolliert werden. Das war in den beiden Fällen nicht oder nur unzureichend geschehen.

Die Vorinstanz

In beiden Fällen urteilte das Oberlandesgericht in Hamm, dass Verstöße gegen Aufklärungspflichten nicht automatisch dazu führen, dass die Einwilligung für die Spende unwirksam ist. Das Argument: Die beiden Spender hätten ihre Nieren auch gespendet, wenn sie richtig informiert worden wären. Juristen sprechen von einer „hypothetischen Einwilligung“. Auf sie kann sich der Arzt berufen, wenn die Aufklärung nicht den Anforderungen von Gesetz und Rechtsprechung genügt.

Was sagt der Bundesgerichtshof?

Der BGH lehnt die Argumentation des Oberlandesgerichts ab. Die Grundsätze der hypothetischen Einwilligung hätten sich aus dem allgemeinen Arzthaftungsrecht entwickelt und ließen sich nicht so ohne Weiteres auf Transplantationen übertragen, urteilte am Dienstag der VI. Zivilsenat (VI ZR 495/15 und VI ZR 318/17). Die Voraussetzungen für eine Aufklärung seien im Transplantationsgesetz bewusst streng formuliert worden, um potenzielle Organspender vor sich selber schützen.

Wann sind Lebendspenden erlaubt?

Eine Lebendspende ist nur zwischen Menschen möglich, die sich sehr nahestehen. Das können zum Beispiel Eltern, Geschwister oder Ehepartner sein. Außerdem darf der Spender „voraussichtlich nicht über das Operationsrisiko hinaus gefährdet oder über die unmittelbaren Folgen der Entnahme hinaus gesundheitlich schwer beeinträchtigt“ werden. In Deutschland werden bei Lebendspenden fast ausschließlich Nieren oder Teile der Leber übertragen. Nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation wurden im vergangenen Jahr in Deutschland 638 Nieren verpflanzt.

Welche Risiken gibt es?

Der Bundesverband für Gesundheitsinformationen und Verbraucherschutz schreibt auf seiner Webseite: „Was die Lebendnierenspende betrifft, so gilt im Allgemeinen die Nierenentnahme für den Spender als ungefährlich, und seine Genesungsaussichten sind sehr gut. Das Risiko, an den Folgen einer Nierenentnahme zu sterben, ist mit 0,03 bis 0,06 % äußerst gering.“ Eine Studie aus dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf kommt jedoch zu dem Schluss, dass die Lebensqualität mancher Spender tatsächlich sinkt. Vor allem massive Müdigkeitssymptome wie bei den beiden Klägern seien immer wieder zu beobachten.

Wie geht der Fall weiter?

Der Bundesgerichtshof hat beide Fälle an das Oberlandesgericht Hamm zurückverwiesen. Das Gericht muss nun den genauen Schadensumfang feststellen, um den Klägern eine Entschädigung zuzusprechen. Über dessen Höhe hat der BGH nicht befunden.