Als Chefermittler für Wirtschaftskriminalität war Hans Richter gefürchtet und umstritten. Nun muss der Oberstaatsanwalt bald mit 68 in Pension gehen. Die Suche nach einem Nachfolger beginnt – womöglich einem pflegeleichteren?

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Es würde nicht zu Hans Richter (67) passen, wenn er sein Berufsleben gemächlich ausklingen ließe. Der Ruhestand ereilt den Chefermittler für Wirtschaftskriminalität bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart vielmehr mitten in der Arbeit. Ende Juli beginnt sein letzter großer Prozess: vor dem Landgericht Stuttgart müssen sich dann der ehemalige Porsche-Chef Wendelin Wiedeking und der Ex-Finanzvorstand Holger Härter verantworten. „Informationsgestützte Marktmanipulation“ wirft ihnen der Oberstaatsanwalt Richter vor, weil sie die geplante Übernahme von Volkswagen im Jahr 2008 monatelang verschleiert hätten. Dass es überhaupt zur Verhandlung kommt, ist ein beachtlicher Erfolg für die Ermittlungsbehörde. Das Landgericht wollte das Verfahren zunächst nicht einmal eröffnen, weil die Vorwürfe zu dünn seien, wurde vom Oberlandesgericht aber mit einem überraschend deutlichen Beschluss dazu gezwungen.

 

Der Prozessauftakt ist am 31. Juli, sicher begleitet von einem großen Medienaufgebot, bis Ende Oktober sind bereits mehr als zwanzig Sitzungstage terminiert. Wie in anderen wichtigen Verfahren wird Hans Richter wiederholt selbst die Staatsanwaltschaft vertreten – jovial in Auftreten und Ton, unerbittlich in der Sache. Mittendrin aber, zum 1. Oktober, scheidet der Chefankläger aus dem aktiven Dienst. Dreimal hat er den Ruhestand bereits um ein Jahr aufgeschoben, um seine Fälle weiter voranzutreiben. Nun, da er 68 wird, geht das nicht mehr. Eine Gesetzesänderung, die das Weiterarbeiten bis 70 ermöglichen soll, kommt für ihn knapp zu spät. Gereizt hätte es ihn fraglos, sagen Weggefährten angesichts seines nicht nachlassenden Schaffensdrangs. Bis in die Abende sitzt er über seinen Akten, für Gespräche mit Journalisten hat er wegen seiner „beruflichen Anspannung“ vorerst keine Zeit.

Stelle wird noch im Mai ausgeschrieben

Bei der Staatsanwaltschaft wappnet man sich derweil für seinen Abschied. Im Porsche-Verfahren seien zwei Kollegen dabei, sich in die umfangreiche Materie einzuarbeiten, sagt eine Sprecherin. Auch sonst solle der Übergang möglichst „nahtlos“ erfolgen; ein Führungsvakuum bei der Schwerpunktabteilung mit etwa 40 Staatsanwälten und sechs Ökonomen will man vermeiden. Ursprünglich wollte das Justizministerium die Stelle erst im Sommer ausschreiben; nach der Auswahl unter den Bewerbern und der Beteiligung des Hauptstaatsanwaltsrates werde Minister Rainer Stickelberger (SPD) dem Ministerpräsidenten dann einen Ernennungsvorschlag unterbreiten. Nun, sagt ein Sprecher Stickelbergers, werde der Chefposten „noch im Mai“ ausgeschrieben.

Es ist keine x-beliebige Personalie, sondern ein Politikum. Bundesweit gilt Richter, der neben Jura auch Betriebswirtschaft studiert hat, als einer der profiliertesten Wirtschaftsermittler – und einer der unerschrockensten. Vor großen Namen hat der gebürtige Pforzheimer keinen falschen Respekt. Ob es um Ex-Porsche-Chef Wiedeking ging, um einstige Daimler-Obere, um den früheren LBBW-Vorsteher Siegfried Jaschinski oder um den EnBW-Deal von Alt-Ministerpräsident Stefan Mappus - wenn es sein musste, knöpfte er sie sich alle vor. Nur die Kleinen zu hängen und die Großen laufen zu lassen, wollte er sich nie nachsagen lassen. Es diene der Wirtschaft, erläuterte er gerne, wenn mit den Mitteln des Rechts Ordnung gehalten werde.

Manche sahen in ihm einen „Standortnachteil“

Ob es immer sein musste, darüber gingen die Meinungen zuweilen auseinander. In seinem Verfolgungseifer schieße Richter schon mal übers Ziel hinaus, monierten Kritiker, zu sehr gefalle er sich in der Rolle des „Großwildjägers“. Womöglich sei der bekennende Alt-Achtundsechziger gar ideologisch getrieben, wurde regelmäßig geargwöhnt – was er stets zurückwies. Manche sahen in ihm sogar einen personifizierten „Standortnachteil“: Anderswo müssten Top-Manager nicht wie in Stuttgart damit rechnen, dass unternehmerische Entscheidungen „kriminalisiert“ würden. Zuletzt veröffentlichte ein ehemaliger LBBW-Manager sogar einen justiz-kritischen Roman, in dem mit einem fiktiven, aber erkennbar an Richter angelehnten Oberstaatsanwalt abgerechnet wurde.

Was Wunder, dass die Stellenbesetzung in der Wirtschaft mit Argusaugen verfolgt wird. In den Konzernen wünsche man sich einen „pflegeleichteren“ Nachfolger für Richter, berichten Insider; diskrete Lobbyarbeit mit diesem Ziel sei bereits angelaufen. Zu erhärten ist das nicht, wie auch die Kritik an dem Chefermittler meist nur hinter vorgehaltener Hand geäußert wird. „Von einer Einflussnahme auf die Besetzungsentscheidung aus der Wirtschaft ist dem Justizministerium nichts bekannt“, sagt der Sprecher Stickelbergers. Man würde sie sich auch nicht gefallen lassen, verlautet aus den Strafverfolgungsbehörden. Es sei „ganz wichtig, dass die Stelle gut besetzt wird“, sagt ein hochrangiger Ankläger.

Vor der Vollbremsung noch einmal Vollgas

Das dürfte auch Minister Stickelberger so sehen. Schon der bloße Verdacht, er installiere einen allzu zahmen Chef in der Wirtschaftsabteilung, wäre kontraproduktiv: Der Neue müsste umgehend beweisen, dass er sehr wohl zubeißen kann. Leicht wird es ohnehin nicht, jemanden zu finden, der an das Kaliber Richters heranreicht; potenzielle Namen sind bisher keine an die Öffentlichkeit gedrungen.

Der scheidende Oberstaatsanwalt arbeitet derweil unermüdlich weiter. Bis zum Sommer, sagt die Behördensprecherin, wolle er in puncto Porsche-VW zwei weitere Ermittlungsverfahren abschließen. Dann soll sich entscheiden, ob auch jene Mitteilung vom Herbst 2008, mit der die bis dahin bestrittenen Übernahmepläne erstmals bestätigt wurden, wegen lückenhafter Informationen eine Marktmanipulation darstellte, und ob auch Porsche-Aufsichtsräte angeklagt werden – vorneweg Ferdinand Piech und Wolfgang Porsche. In der Autosprache klänge das so: Hans Richter gibt noch einmal Vollgas, ehe ihn der Ruhestand zu einer Vollbremsung zwingt.