Abgeordnete des Europäischen Parlaments wollen den Spritverbrauch bis 2030 um bis zu 75 Prozent senken. Der Umweltexperte der Union, Jens Gieseke, fordert nun ein Gutachten zu drohenden Jobverlusten, bevor das Parlament seine Position festzurrt.

Korrespondenten: Markus Grabitz (mgr)

Brüssel - Während die Autobauer Mühe haben, die verbindlichen CO2-Ziele für 2020 einzuhalten, hat in Brüssel schon das Ringen um das nächste Etappenziel der Regulierung begonnen. Die Kommission hatte im November vorgeschlagen, dass die Industrie den Spritverbrauch von neuen Pkw und Nutzfahrzeugen bis 3,5 Tonnen von 2021 bis 2030 noch einmal um 30 Prozent absenken soll. Als Zwischenziel für 2025 hat die Kommission eine Einsparung der Flottenverbräuche um 15 Prozent angesetzt. Nun sind das Parlament und die Mitgliedstaaten am Zug. Als Co-Gesetzgeber müssen sie miteinander in Verhandlung treten und am Ende einen Kompromiss über Verbrauchsobergrenzen finden, der dann EU-weit Gesetz wird.

 

Im Europaparlament wollen viele Abgeordnete die Latte deutlich höher hängen als die Kommission. Verhandlungsführerin des Parlaments ist die maltesische Sozialistin Miriam Dalli aus dem federführenden Umweltausschuss. Sie schlägt vor, das Etappenziel der Industrie nun bis 2025 auf 20 Prozent anzuheben und bis 2030 auf 50 Prozent zu gehen. Die künftigen CO2-Grenzwerte beschäftigen die Abgeordnete in hohem Maße: Aus den Reihen des Parlaments sind bereits 600 Änderungsanträge bei ihr eingegangen. Dalli hat bei weitem nicht die radikalste Position. Andere Abgeordnete fordern, dass der Spritverbrauch zwischen 2021 und 2030 sogar um 75 Prozent zurückgehen soll. Aufgabe der Verhandlungsführerin Dalli ist nun, einen Kompromiss zu formulieren, für den sie anschließend im Ausschuss eine Mehrheit bekommt.

Insgesamt gibt es heute 840 000 Arbeitsplätze in der Automobilindustrie

Dallis Gegenspieler ist der Umweltexperte der Christdemokraten im Europaparlament, Jens Gieseke (CDU). Gieseke ist alarmiert. „Das Parlament bewegt sich von Maß und Mitte weg“, kritisiert der Abgeordnete im Gespräch mit unserer Zeitung. Er hielte es für sinnvoll, den Kommissionsvorschlag sogar leicht auf ein Einsparziel von 25 Prozent bis 2030 zu entschärfen. Fest steht für ihn aber: „Wenn wir einen Kompromiss mit den Mitgliedstaaten anstreben, dürfen wir den Vorschlag der Kommission nicht noch verschärfen.“

Eine Fraunhofer-Studie im Auftrag der IG-Metall zu den Folgen der Elektromobilität für Arbeitsplätze war in der vergangenen Woche zum Schluss gekommen, dass bis 2030 rund 75 000 Jobs in Deutschland wegfallen. Insgesamt gibt es heute 840 000 Arbeitsplätze in der Automobilindustrie, davon 210 000 im Bereich des Antriebsstrangs. Die Schätzung basiert auf dem Szenario, dass der Vorschlag der EU-Kommission mit Einsparzielen von 15 und 30 Prozent bis 2030 umgesetzt wird.

„Es steht zu viel auf dem Spiel. Ich will wissen, um wie viele Jobs es geht“

Gieseke warnt: „Jeder kann sich ausmalen, wie sehr die Beschäftigung in Deutschland leidet, wenn sich Frau Dalli mit ihrem 50-Prozent-Ziel durchsetzen sollte.“ Der Abgeordnete aus dem Emsland verlangt, dass das Parlament eine wissenschaftliche Folgenabschätzung vornehmen lässt, bevor es sich auf eine Verhandlungsposition festlegt. „Es steht zu viel auf dem Spiel. Ich will wissen, um wie viele Jobs es geht.“ Normalerweise holt das Parlament keine Folgenabschätzung ein, bevor es in die Verhandlungen mit dem Rat zieht. Gieseke hat die Verhandlungsführerin über seine Forderung bereits informiert. Dalli habe ihm auch zugesichert, die Angelegenheit mit dem Sekretariat des Ausschusses zu besprechen. „Jetzt muss Dalli aus der Hüfte kommen“, fordert Gieseke. Es sei ausreichend Zeit, um den Rat von externen Experten einzuholen. „Wenn das Parlament jetzt den Weg für die Folgenabschätzung frei macht, liegen uns die Ergebnisse Ende August vor.“ Früh genug, um im September die Verhandlungslinie im Ausschuss festzulegen. Gieseke fordert noch etwas: „Ich will, dass das ganze Parlament über das Reduktionsziel abstimmt.“ Bei einer für die Zukunft der deutschen Schlüsselindustrie so wichtigen Frage reiche es nicht, dass lediglich ein zuständiger Fachausschuss entscheide.

Auch von der Wissenschaft kommen Bedenken

Auch von der Wissenschaft kommen Bedenken gegen die ehrgeizigen Ziele aus Brüssel: Der Experte für Verbrennungsmotoren, Thomas Koch vom Karlsruher Institut für Technik (KIT), sagt im Gespräch mit unserer Zeitung: „Eine weitere Verschärfung der CO2-Norm ist sinnvoll, jedoch appelliere dringend an die EU-Gesetzgeber: Erlegt nicht zum zweiten Mal der Technik Gesetze auf, die physikalisch mit dem verfügbaren Technikreifegrad unmöglich einzuhalten sind.“ Den Fehler habe die Regulierung vor allem bei den Euro-Normen 4 und 5 gemacht und trage damit Mitverantwortung am Dieselskandal. Es sei niemandem damit gedient, wenn „Grenzwerte festgelegt werden, die nur auf dem Papier Bestand haben.“ Schon das CO2-Einsparziel der Kommission von 30 Prozent werde nur erreicht werden, wenn die Strombereitstellung für E-Autos nicht eingerechnet werde.