Sie wollen sich weder Mundschutz noch Maulkorb verpassen lassen: Die Demonstranten der Initiative Querdenken kamen wieder zu Tausenden auf den Cannstatter Wasen. Ein Tag voller Zwischenfälle und Überraschungen.

Lokales: Wolf-Dieter Obst (wdo)

Stuttgart - Die Dame trägt ein großes rotes Schild in Herzform. „Für Frieden, Freiheit und eine prima Zukunft“, steht drauf – und wer möchte dem nicht zustimmen? Die 68-Jährige ist aus Göppingen angereist und das nicht zum ersten Mal. Mehr als die zugelassenen 5000 Demonstranten haben am Samstag auf und am Cannstatter Wasen gegen die Corona-Maßnahmen demonstriert – gegen Maskenzwang, gegen Einschränkungen der Grundrechte, gegen all diesen „unvorstellbaren Blödsinn“, wie es unter großem Jubel in einer Videobotschaft heißt. Die Umstände dieser nunmehr achten Demonstration zeigen aber: Der Ton wird rauer, die Gräben werden größer.

 

Die Dame mit dem Herz findet die Zukunft gar nicht prima. Sie fürchtet einen Überwachungsstaat, glaubt, „dass wir nicht mehr frei atmen können“, sagt sie. Die Mächtigen da oben – „nein, ich glaube denen kein Wort mehr.“ Um sie herum ähnliche Papptafel-Botschaften: „Angstfabrik Bundesregierung“ oder „Maulkorbpflicht, Ende sofort!“ oder „Für Demokratie, gegen Zwänge!“ Die Redner sprechen von Machtmissbrauch, von korrupter Wissenschaft, von Nötigung, von diffamierender Berichterstattung durch die Medien.

Mit Plan B gegen die Teilnehmerbeschränkung

„Wir sind eine friedliche Bewegung“, sagt der Demo-Organisator und Gründer der Initiative Querdenken, Michael Ballweg. Das heißt aber nicht, dass er auf juristische Auseinandersetzungen verzichtet. Nächste Woche, verkündet er, werde man das Bundesverfassungsgericht anrufen. Denn dass die Stadt ihm die Veranstaltung auf 5000 Teilnehmer begrenzt hat, aus Gründen des Infektionsschutzes, das will er nicht hinnehmen. Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat er am Freitag nicht überzeugen können. Auch nicht den Verwaltungsgerichtshof – der wies die Beschwerde am Samstag zurück.

Um das zu umgehen, hatte Ballweg schon tags zuvor einen Plan B verkündet: Alle, die wegen der Beschränkung nicht mehr auf die Veranstaltungsfläche dürften, sollten an Ort und Stelle Neunergruppen bilden und erklären: „Ich melde eine Spontanversammlung an.“ Mehr Teilnehmer durch die Hintertür. Dass den 500 Ordnern eine Mund-Nasen-Bedeckung vorgeschrieben wurde, sieht Ballweg nicht als Virenschutz, sondern als Versuch, „unsere friedliche Bewegung zu spalten und unser Ordnerkonzept zu sabotieren“.

Brandbrief der Polizei wegen Versäumnissen

Doch die Stadt zeigte klare Kante. Nach dem virologischen Chaos eine Woche zuvor, als knapp 10 000 Teilnehmer in Pulks den Heimweg antraten und in einigen Fällen auch maskenfrei die Bahnen bevölkerten, sollte diesmal mehr für den virologischen Schutz der nicht-demonstrierenden Mehrheit getan werden.

Offenbar hatte es da Versäumnisse gegeben. Offenbar hatte man gedacht, die Polizei würde da schon eingreifen. Doch die war gar nicht zuständig. Grund genug für Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz, das in einem internen Brandbrief klarzustellen. Die Überwachung der Hygiene-Verordnung im öffentlichen Raum „ist Aufgabe der Ortspolizeibehörde“, erklärte sie. Also Aufgabe der Stadt. Und: „Die Verkehrsunternehmen selbst sind zum Mitwirken an der Durchsetzung der Maskenpflicht angehalten.“

Gewalt flammt auf – Polizei mit Ermittlungsgruppe

Am Samstag hat das offenbar gewirkt. Mehr Kontrollpersonal schaute genauer hin – und prompt wurden mehr als 60 Sünder allein in den Stadtbahnen erwischt und angezeigt. Da sollen 300 Euro Bußgeld fällig werden. Die Sache mit den Spontanversammlungen hat Ordnungsamtsleiterin Dorothea Koller auch konsequent geregelt – bemerkenswerterweise von Polizeichefin Hinz begleitet. Mehreren Hundert Demonstranten wurde ein Versammlungsplatz fernab in der Mercedesstraße zugeordnet. Als Zaungäste.

Doch am Zaun sind auch verstärkt antifaschistische Aktivisten unterwegs. Die verteilten Flugblätter, die dazu aufforderten, „Nazis und andere Rechte von dieser Versammlung fernzuhalten“. Mutmaßlich aus diesen Kreisen schlugen Täter noch härter zu. Auf dem Weg zur Demo wurden drei Teilnehmer in der Mercedesstraße auf Höhe des Stadions von einer Gruppe überfallen und erheblich verletzt. Offenbar waren sie gezielt ausgesucht worden.

Die Eskalationsstufe stieg schon vorher: In der Nacht zum Samstag gingen in der Augsburger Straße in Untertürkheim drei Lkw in Flammen auf – die sollten die Veranstaltungstechnik der Demo zum Wasen transportieren. Die Täter blieben unbekannt, werden aber in linken Kreisen vermutet. „Wir haben keine heiße Spur“, sagt Polizeisprecher Stefan Keilbach. Die Polizei hat eine zehnköpfige Ermittlungsgruppe gebildet – vor allem mit Beamten aus dem Staatsschutz.

Der Kopf der Bewegung hört auf

Den großen Paukenschlag hebt sich Organisator Ballweg für den Schluss auf. Er kündigt an, keine Großdemo mehr zu organisieren. Warum? „Weil wir eine starke Bewegung gegründet haben und weil sich nicht jeder darauf verlassen darf, dass es irgendwie Großdemos gibt, sondern endlich jeder selbst aktiv werden muss“, sagt er. Die Bewegung laufe weiter, es gebe 72 Querdenken-Initiativen in Deutschland. Am Samstag wurde in München, Hamburg, Frankfurt, Köln, Düsseldorf, Dortmund und Dresden protestiert. Es werde auch in Stuttgart weiterhin Demos geben. Und am nächsten Samstag? „Keine Ahnung“, sagt er. Mit dem Team habe er sich nicht abgesprochen.

Mit der geplanten Klage beim Bundesverfassungsgericht habe dies aber nichts zu tun, sagt er. Die sei vorbereitet, „und es wäre falsch zu sagen, man macht die nicht fertig“. Es gehe um die Auflagen, und die beträfen ja auch andere Demonstrationen. Ballweg jedenfalls hat offenbar genug von seiner Kärrnerrolle: „Es muss jetzt jeder eigenverantwortlich für seine Grundrechte einstehen und kann sich nicht darauf verlassen, dass es da immer einen gibt, der aufsteht.“