Er gilt als fußballerisch hochbegabt. Doch den Durchbruch hat der vor der WM ausgebootete Offensivmann Leroy Sané in der deutschen Nationalelf noch nicht geschafft. Das will er nun ändern.

Sport: Marco Seliger (sem)

Berlin - Der Mann, der vielleicht der größte Individualist der Nationalelf ist, faltet brav die Hände, zieht sich das kleine Mikrofon zurecht – und spricht am Mittwochmittag in Berlin wie ein schüchterner Klosterschüler.

 

Kritik ist ein Ansporn. Ich arbeite daran, dass ich besser ins Team passe. Es ist mir nicht egal, wenn das Team schlecht spielt.

All das sind Aussagen von Leroy Sané(22). Bescheiden will er rüberkommen, vielleicht sogar demütig, darum legt er auf dem Pressepodium einen braven Auftritt hin, der so rein gar nicht mit dem schrillen Fußballjahr und dem vollauf verkorksten Sommer des Flügelflitzers von Manchester City zusammenpasst.

Und erst recht nicht mit seinem Image.

Sané gilt als schriller Vogel

Der Mann, der am Mittwoch leise und schüchtern spricht, wird sowohl in der öffentlichen Wahrnehmung als auch im inneren Zirkel des Nationalteams als ziemlich wilder Vogel betrachtet, und das sicher nicht nur aufgrund seiner prallen Lockenfrisur. Die WM in Russland verpasste der Mann, der ein paar Wochen vorher nach zehn Toren und 15 Vorlagen in der Premier League als bester Newcomer ausgezeichnet worden war. Wie konnte das sein?

Groß war der Aufschrei, erst recht während des WM-Turniers. Wie kann der Löw den nur daheim lassen, den Mann, der dank seiner Verrücktheit immer den Unterschied ausmachen kann? Längst ist klar: Sané war vor allem während des WM-Trainingslagers in Südtirol nicht immer der disziplinierteste Spieler, offenbar soll er zum Beispiel nicht immer der pünktlichste Zeitgenosse gewesen sein. Obendrein waren seine Leistungen bei den Länderspielen meist ein paar Klassen schlechter als jene auf Vereinsebene bei ManCity. Deshalb kam Löws Verzicht zustande, der trotz dieser Fakten bis heute hochumstritten ist.

„Bisher hat es hier noch nicht funktioniert mit mir“

Nun, dreieinhalb Monate später, sitzt Sané also in Berlin, er ist wieder Teil des DFB-Teams, das sich gerade auf die Partien in der Nations League gegen die Niederlande (Samstag) und Frankreich (Dienstag) vorbereitet. Sané sagt erfrischend ehrlich: „Bisher hat es hier noch nicht funktioniert mit mir.“ Das soll sich ändern. Und zwar schnell. So schnell, wie Sané in England die Fußballwelt eroberte. Und so schnell, wie er auf Linksaußen die Gegner das Fürchten lehrt. „Ich will mich in allen Bereichen so verbessern, dass der Jogi nicht mehr an mir vorbeikommt“, sagt Sané.

Der Jogi selbst hat es sich bereits auf die Fahnen geschrieben, seinem Hochbegabten endlich zum Durchbruch im DFB-Team zu verhelfen. Der Bundestrainer denkt dabei auch an sich selbst – denn er weiß, dass ein Sané in Topform dem deutschen Spiel ganz sicher nicht schadet. „Es ist unsere Kernaufgabe, Leroy so zu integrieren, dass er zum Leistungsträger wird und nicht zum Problemfall“, sagt der Bundestrainer.

In 13 Länderspielen nicht überzeugt

Die Geschichte Sanés in der Nationalelf ist bisher eine missratene. 13 Länderspiele hat der gebürtige Essener absolviert, nie konnte er überzeugen. Nie konnte er das zeigen, was ihn in der Premier League unter Pep Guardiola so stark macht: Die katapultartigen Sprints und Dribblings auf engstem Raum, die Explosivität, die Genialität. Die Gabe, mit seinen Dribblings ganze Abwehrreihen aushebeln zu können.

Unter Joachim Löw stand sich Sané meist selbst im Weg – doch es gibt Anzeichen, dass sich das bald ändern könnte. Ein Grund dafür ist die veränderte taktische Ausrichtung Löws nach der WM. Der Bundestrainer wollte bisher stets, dass seine Außenverteidiger hoch stehen und sich ins Offensivspiel einschalten. Das ist Gift für einen Flügelstürmer, der viel Raum braucht – und keine Teamkollegen, die ihm auf den Füßen stehen. Künftig sollen sich die Außenverteidiger nach dem Reinfall bei der WM mit zahlreichen gelungenen Kontern der Gegner wieder mehr auf ihre Abwehrarbeit konzentrieren. Und den Offensiven ihren Platz lassen.

Auch bei den Teamkollgen unter Beobachtung

Sané will den Durchbruch schaffen – dafür muss er allerdings dauerhaft seine Einstellung ändern. Noch vor ein paar Wochen sprach Weltmeister Toni Kroos Klartext in Richtung Sané: „Natürlich ist er jemand, der mit seiner Körpersprache einem das Gefühl gibt: Ob ich gewinne oder verliere, ist nicht so schlimm. Das ist die Körpersprache – ob es so ist, weiß ich nicht.“ Sané verneinte das. Klar aber ist: Der City-Profi steht auch bei den Teamkollegen unter Beobachtung.

Auch, weil es zuletzt unter Guardiola vor ein paar Wochen wieder einen Rückschlag gab. Nach Löw im Sommer verpasste auch sein Vereinstrainer Sané einen Denkzettel und strich ihn wegen schwacher Trainingsleistung für ein Spiel aus dem Kader. Sané selbst sagte dazu: „Jogi Löw und Pep Guardiola wissen beide ganz genau, wie sie mit mir umgehen müssen. Kritik von so großen Trainern zu bekommen, darüber freue ich mich.“ Und weiter: „Das nächste Ziel ist für mich, bei der Nationalmannschaft den nächsten Schritt zu machen.“ Jetzt sollten den Worten bald Taten folgen.