Am 15. April 1912 sank die als unsinkbare geltende Titanic im Nordatlantik. Zum ersten Mal seit 14 Jahren sind jetzt Taucher zu dem Luxusdampfer gelangt. Schon bald wird das Wrack komplett verschwunden sein. Bakterien zerfressen den in 3821 Meter Tiefe liegenden Stahlkoloss.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

New York - Zum ersten Mal seit 14 Jahren haben sich Taucher zu den Überresten des einst größten Kreuzfahrtschiffes der Welt aufgemacht. Die Bilder vom Wrack der RMS Titanic, das in 3821 Meter Tiefe auf dem Grund des Atlantiks vor der Küste Neufundlands liegt, sind faszinierend und erschreckend zugleich.

 

Mit fünf Tauchgängen und mit Hilfe von Spezialkameras gelang es dem Unterwasserforscher Victor Vescovo und seiner Expeditionscrew, in 3800 Metern Tiefe Videos von dem Wrack zu machen, wie die Produktionsfirma Atlantic in London mitteilte. Starke Meeresströmung, Korrosion und Bakterien sorgen unaufhörlich dafür, dass auch dieses Wrack schon bald Geschichte sein wird. Während einige Teile des Schiffes nach wie vor gut erhalten sind, schreitet der Verfall vor allem an der Steuerbordseite rapide voran.

Beeindruckende Bilder vom verfallenden Wrack der Titanic

Die Bilder der Crew, die mit einem speziellen Tauchfahrzeug hinabgetaucht ist, sind dennoch beeindruckend.

„Es war einfach außergewöhnlich, das alles zu sehen. Der erstaunlichste Moment war, als ich an der Titanic entlanggefahren bin und sich die Lichter des Tauchbootes vom Wrack reflektiert wurden. Es war, als ob mir das Schiff zuwinkt. Das war wirklich erstaunlich“, sagt Victor Vescovo.

„Die Zerstörung wird weiter fortschreiten“

Vor allem die Kabinen der Besatzung, darunter auch die Räume des Kapitäns, auf der Steuerbordseite seien stark betroffen. „Das ganze Deck auf dieser Seite bricht zusammen und die Zerstörung wird weiter fortschreiten“, sagte der Historiker Parks Stephenson der Produktionsfirma zufolge. „Die Badewanne des Kapitäns ist eines der Lieblingsmotive für Titanic-Liebhaber, aber die ist jetzt weg.“

Die neuen Aufnahmen werden in einem Dokumentarfilm genutzt werden, wie Atlantic Productions erklärte. Vescovo, der eines der für die Tauchgänge genutzten U-Boote gesteuert hat, sagte: „Es ist ein großes Wrack, ich war nicht darauf vorbereitet, wie groß es ist. Es war außerordentlich, es komplett zu sehen.“

Die Crew habe während eines Tauchgangs auch einen Kranz abgelegt, um der Opfer zu gedenken, erklärte die Firma Atlantic.

Sehen Sie hier: das Wrack der Titanic im Jahr 2019

1514 Menschen fanden am 14./15. April 1912 den Tod

Der Untergang der Titanic ist die wohl bekannteste Katastrophe der Seefahrt. Am 10. April 1912 fuhr der als unsinkbar geltende Luxusliner auf seiner Jungfernfahrt vom britischen Southampton nach New York.

Am 15. April gegen 2.20 Uhr sank die Titanic, nachdem sie am 14. April um 23.40 Uhr im Nordatlantik – etwa 300 Seemeilen südöstlich von Neufundland – einen Eisberg gerammt hatte. 1514 der mehr als 2200 Menschen an Bord kamen dabei ums Leben. Das Unglück zog in die Geschichtsbücher ein – und später auch in die Drehbücher Hollywoods.

1985: Robert Ballard entdeckt Überreste der Titanic

Am 1. September 1985 hatte der US-Ozeanograf Robert Ballard zusammen mit seinem französischen Kollegen Jean-Louis Michel das Wrack des legendären Schiffes geortet. Ein Jahr nach der Entdeckung tauchte er hinab.

„Es war ein unglaubliches Erlebnis“, schilderte er später seine damaligen Eindrücke. „Wir haben alles sorgfältig fotografiert und ein komplettes Mosaik des Schiffes erstellt.“

Sehen Sie hier: das Wrack der Titanic im Jahr 1986

Als Ballard 2004 zur Titanic zurückkehrte, erkannte er die Szenerie kaum wieder. Der Meeresboden war mit Bierdosen und anderem Abfall übersät, klagte er in einem Artikel für das „National Geographic Magazine“.

Durch das Aufsetzen von U-Booten – unter anderem mit dem „Titanic“-Regisseur James Cameron an Bord – seien einige Decks dem Einsturz nahe oder bereits eingeknickt. Bergungsunternehmen hätten „Tausende Objekte von dem Ort entfernt, der für mich heilig ist“.

Sehe Sie hier: das Wrack der „Titanic“ im Jahr 2004

Bakterien zerfressen die Titanic

Seitdem ist niemand mehr zum Wrack hinabgetaucht. Bis jetzt: Im Rahmen der „Five Deeps“-Expedition begab sich Vescovos Team zum Wrack. Doch die Forscher mussten feststellen, dass sich seit den letzten Aufnahmen viel verändert hat. Starker Seegang und bakterieller Eisenfraß machen dem Koloss zu schaffen.

Schon in 15 bis 20 Jahren könnten die Überreste komplett verschwunden sein, schätzen Wissenschaftler des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts (AWI) für Polar- und Meeresforschung. „Das Wrack ist von Biofilmen und Rost überzogen“, erklärt AWI-Leiterin Antje Boetius.

Forscher entdeckten vor einigen Jahren in den Rostflocken eine Bakterienart, die nach ihrem Fundort „Halomonas titanicae“ genannt wurde. „Eigentlich wächst dieses Bakterium gerne im Warmen bei über 30 Grad“, erklärt Antje Boetius. „Aber dort, wo das Wrack liegt, sind es vier Grad.“

Wrack wird instabil und fällt zusammen

In der kalten Tiefsee müssten die Schiffsüberreste geschützt sein. Tatsächlich aber zersetzen die Mikroben trotz der Kälte die Schiffswände. „Sie tragen dabei nicht langsam Millimeter für Millimeter die Oberfläche ab, sondern verursachen Lochfraß“, erläutert die Meeresbiologin. „Dadurch wird das Wrack instabil und fällt irgendwann zusammen.“

Auch den Grund für die Zersetzung des Unesco-Weltkulturerbes kennen die Wissenschaftler. „Die Bakterien entziehen dem Eisen Elektronen als Energiequelle, um wachsen zu können. Sie leben also direkt vom Metall.“

Sehen Sie hier: 3D-Reise ins Innere des Wracks der Titanic