Das Europäische Patentamt provoziert Widerspruch. Diesmal geht es um ein Patent auf Wassermelonen. Das Patentrecht wird systematisch missbraucht, warnen Kritiker.

Für Christoph Then ist die Sache klar. „Es ist ein extremer Präzedenzfall für unzulässige Patente auf Leben“, sagt der Sprecher der Initiative „Keine Patente auf Saatgut“. Die ist gerade beim Europäischen Patentamt erstinstanzlich mit einer Beschwerde gegen das Patent EP 2814316 gescheitert. Das wurde der BASF-Tochter Nunhems 2021 für buschig und damit platzsparend wachsende Wassermelonen erteilt, was nach Verständnis der Initiative nie hätte geschehen dürfen. „Der buschige Wuchs entstand durch Zufall und wurde laut Patentschrift angeblich in einem Hausgarten entdeckt“, erklärt Then. Patentiert werden könnten Pflanzen aber rechtlich nur, wenn sie auf gentechnischem Weg erzeugt wurden. Das Europäische Patentamt sieht es anders.

 

Nur gentechnisch erzeugte Pflanzen können patentiert werden

Es verweist im aktuellen Streitfall auf eine noch nicht vorliegende schriftliche Begründung und will sich inhaltlich vorerst nicht weiter zur abgelehnten Patentanfechtung und deren Gründen äußern. Gesprächiger sind die unterlegenen Patentkritiker. Denn das umstrittene Melonen-Patent ist nicht das einzige seiner Art. Seit etwa zehn Jahren gebe es einen alarmierenden Trend der Ausweitung von Pflanzenpatenten auf konventionelle Züchtung, kritisiert die Initiative in einer aktuellen Studie.

Allein voriges Jahr sind demnach rund 100 Patentanmeldungen veröffentlicht worden, die konventionelle Pflanzenzucht betreffen. Laut Europäischem Patentübereinkommen (EPÜ) ist derartiges aber grundsätzlich nicht patentierbar. „Im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen und Tieren“ sowie ganze Pflanzensorten und Tierarten seien von der Patentierbarkeit aus geschlossen, legen Artikel 53b des EPÜ sowie eine ergänzende Patentrichtlinie fest. Die Realität sieht allerdings anders aus.

Großbrauereien lassen Braugerste patentieren

Patente auf Pflanzen und Tiere, die auf im Wesentlichen biologischen Weg gezüchtet wurden, würden regelmäßig erteilt, kritisiert die Studie. Dabei könne ein Patent bis zu 175 Pflanzensorten abdecken. Das geht von Brokkoli über Tomaten bis Spinat oder Salat. Mal schützt ein Patent für Mais eine Variante, die unter kalten, nordeuropäischen Klimabedingungen gedeiht. Mal geht es sogar über Pflanzen und Saatgut hinaus, wie es Patente der Braukonzerne Carslberg und Heineken tun, die neben der Gerste auch daraus gebraute Bier schützen.

Allen Fällen gemeinsam sei, dass die jeweiligen Pflanzen und ihre Eigenschaften durch konventionelle Züchtung oder auf natürliche Weise entstehen, kritisieren Then und seine Mitstreiter. Solche Patente gingen vor allem auf wenige Großkonzerne wie Bayer, BASF oder Syngenta zurück. Die würden in ihren Patentanmeldungen oft Formulierungen verwenden, die patentierbare gentechnische Verfahren suggerieren. Das sei aber nur vorgeschoben und zur Zucht der gewünschten Pflanzen nicht wirklich nötig, sagen die Patentkritiker.

Patentinhaber können anderen Züchtern die Arbeit durchkreuzen

Wer ein solches Patent auf Leben einmal in Händen hält, kann nicht nur für Saatgut viel Geld verlangen, er unterbricht an der Stelle auch das freie Züchten. Denn Patentinhaber können anderen Züchtern verbieten, neue Sorten unter Verwendung patentierter Pflanzen zu erzeugen, was bislang per Züchterprivileg und Sortenschutz in Europa garantiert war, warnt die Initiative und hat eine Erklärung für die Patentpraxis.

„Das Patentamt denkt auch ans eigene Geschäft, es schaut eher auf Einnahmen durch Patenterteilungen als auf den Nutzen für die Gesellschaft“, sagt Then. Hinterfragt wird die Qualität von Patenterteilungen durch das Amt auch von einer Industrieinitiative namens IPQC unter Führung des Großanmelders Siemens. Die wirft ihm vor, Patentersuchen seit Jahren ohne echte Prüfung durchzuwinken, um dadurch eigene Einnahmen für Patentgebühren zu mehren.

Das Bundesjustizministerium zeigt sich wenig alarmiert

Im aktuellen Melonen-Fall will „Keine Patente auf Saatgut“ nicht locker lassen und beim Amt in eine zweite Beschwerdeinstanz gehen. Die jetzige Ablehnung des Einspruchs gegen das Patent stehe deutlich im Widerspruch zu den Grundsätzen des Patentrechts, findet Then. „Die Entscheidung ist eine schwerwiegende Verletzung des Verbots der Patentierung von konventionell gezüchteten Pflanzensorten“, meint der Experte und sieht nun auch die Politik in Form des Bundesjustizministeriums gefragt.

Das vertritt die deutschen Interessen im kontrollierenden Verwaltungsrat des Amts, das keine EU-Behörde, sondern ein supranationales Konstrukt ist. Allerdings wirkt Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) wenig alarmiert. „Es ist an der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts, über den Einspruch und die dabei vorgebrachten Argumente zu entscheiden“, teilt dessen Ministerium auf Anfrage mit. Man beobachte aber die Patentpraxis der Patentbehörde in München und lege großen Wert darauf, dass rechtliche Vorgaben zur Patentierung von Pflanzen konsequent umgesetzt würden.

Buschmann in der Sache bislang untätig geblieben, wirft Then dem FDP-Minister vor. Gehandelt habe dagegen Österreich und dazu jüngst ein neues nationales Patentgesetz verabschiedet. Das lässt keine Interpretationsspielräume mehr in der Frage, was genau „im Wesentlichen biologische Züchtung“ heißt und was als natürliche Genveränderung gilt. Ähnliches erwarten die Patentkritiker auch in Deutschland.

Melonenpatent

Pflanzen und Tiere
Das Patent auf Wassermelonen ist nicht das erste seiner Art, das durch die Initiative „Keine Patente auf Saatgut“ angefochten wurde. Einsprüche wurden bislang auf elf Schutzersuchen für Pflanzen und eines für Tiere (Fische) eingelegt. Bei Pflanzen war die Initiative dreimal erfolgreich wie auch im Fall des Fischs. Drei Einsprüche hat das Europäische Patentamt abgewiesen und die jeweiligen Patente aufrecht erhalten. Fünf Fälle laufen noch.

Mutationen
Die Initiative sieht jeweils geltendes Patentrecht missbraucht, weil natürliche Mutationen, die nicht patentierbar sind, fälschlicherweise als patentierbare gentechnische Erfindungen ausgeben werden. Europaweit sind über 1.200 Pflanzensorten von solchen Patenten betroffen, die auf rund 300 erteilte Patente zurückgehen, hat die Initiative ermittelt. Weitere etwa 700 Patentanträge auf konventionelle Züchtungen sind anhängig.