Baufirmen gelten bei Arbeitnehmern nicht als besonders attraktive Arbeitgeber. Warum das so ist, und was dagegen getan werden kann, erläutert Albert Dürr, der Chef des Stuttgarter Bauunternehmens Wolff & Müller.

Stuttgart - Die Tarifparteien in der Bauwirtschaft haben in diesem Jahr ein stattliches Lohnplus von 5,7 Prozent vereinbart, so viel wie in keiner anderen Branche. Darin spiegelt sich die gute Konjunktur am Bau. Trotzdem gelten die Betriebe bei den Arbeitnehmern nicht als besonders attraktive Arbeitgeber. Warum das so ist, und was dagegen getan werden kann, erläutert im Interview Albert Dürr, der Chef des Stuttgarter Bauunternehmens Wolff & Müller.

 

Herr Dürr, die Bauwirtschaft gehört zu den Branchen, die am stärksten über einen Fachkräftemangel klagen. Woran liegt das?

Wir sind in der Branche erst seit einigen Jahren wieder auf einem Wachstumskurs und haben jetzt volle Auftragsbücher. Zuvor hatte sich die Belegschaft in der Bauwirtschaft seit Mitte der Neunziger Jahre halbiert. Auch das hat dem Image der Branche massiv geschadet, andere Branchen gelten als attraktiver. Im Großraum Stuttgart ist das natürlich insbesondere die Autoindustrie, mit der auch alle Bauunternehmen konkurrieren.

Wo groß ist der Fachkräftemangel bei Wolff & Müller?

Wir haben etwa 2000 Beschäftigte in der Gruppe und 180 offene Stellen, die wir sofort besetzen würden, wenn wir das Personal finden würden. Etwa ein Drittel des Bedarfs entfällt auf den Großraum Stuttgart. Wir suchen insbesondere im gewerblich-technischen Bereich Leute mit Erfahrung, aber auch Bauingenieure und Architekten. Wir tun uns mit der Suche schwer, weil die Mitarbeiter zum Beispiel verständlicherweise Wert darauf legen, zu einem bestimmten Zeitpunkt abends wieder zu Hause zu sein. Wenn wir dann ein Projekt in der Nähe von Frankfurt haben, dann ist das unter den heutigen Verkehrsbedingungen eine große Herausforderung. Aber Bauen ist nun einmal etwas, das nicht nur an einem Standort stattfindet. Die Nachwuchssituation ist nicht ganz so schwierig. Junge Menschen für die Ausbildung und von den Hochschulen finden wir eher als qualifizierte Experten.

Was wollen Sie tun?

Wir sprechen neben Menschen mit Erfahrung aus anderen Unternehmen auch Mitarbeiter aus vergleichbaren Branchen an, sie möchten wir für die bauausführende Welt begeistern, denn wir brauchen Mitarbeiter, die sich in der Arbeitswelt auskennen. Wir müssen am Image der Branche arbeiten, es in ein richtigeres Licht rücken. Das tun wir zum Beispiel mit der Initiative „Deutschland baut“, in der wir mitarbeiten. Und ein Pfund, mit dem wir wuchern wollen, ist die Attraktivität unserer Arbeitsplätze und des Arbeitens in einem Bauunternehmen. Denn hier kann sich der Mitarbeiter gestalterisch einbringen. Es gibt einen hohen Freiheitsgrad, nicht nur auf der Baustelle, sondern auch in den Büros. Die Freiheit muss man natürlich auch wollen. Denn dazu gehört auch die Verantwortung.

In der Vergangenheit haben sich die Betriebe damit beholfen, dass sie immer mehr Arbeit ausgelagert haben auf Subunternehmen.

Wir haben ganz klar das Ziel, ein Bauunternehmen zu sein, das wirklich Bau-Know-how hat und es weiterentwickelt. Bei uns sind die Hälfte der Belegschaft gewerbliche Mitarbeiter. Wir haben – trotz der Moden in der Branche – immer Wert darauf gelegt, einen Grundstamm an eigenen gewerblichen Mitarbeitern zu haben. Nur so ist es möglich, vom Büro bis zur Baustelle die Prozesse zu vereinheitlichen. Also: Wir brauchen mehr Personal – auch im gewerblichen Bereich.

Wie hoch ist der Eigenanteil von Wolff & Müller bei einem Bauprojekt?

Das ist sehr unterschiedlich. Wir haben in der Firmengruppe im Jahr etwa 400 Projekte, zu denen 10 000-Euro-Aufträge etwa im Spezial-Tiefbau ebenso gehören wie 50- oder 60-Millionen-Euro-Projekte im Hochbau. Grob gesagt haben wir im Tief- und Straßenbau 50 bis 70 Prozent Eigenfertigung; im Hochbau sind es 20 bis 40 Prozent.

Hat die Branche in der Vergangenheit mit dem Abbau des Eigenanteils einen Fehler gemacht?

Ja, definitiv. Natürlich hat da der Kostendruck eine Rolle gespielt, aber die Branche darf sich nicht nur über den Preis definieren. Wir jedenfalls tun das nicht, und das stößt bei unseren Kunden auf Akzeptanz. Aber trotzdem brauchen wir wie alle Bauunternehmen Flexibilität, die durch die Zusammenarbeit mit Partnern hergestellt wird. Deshalb binden wir auch über das Wolff & Müller Baupartnerprinzip ausgewählte, qualifizierte Nachunternehmen an uns. Ein Unternehmen muss atmen können, denn es ist ja offen, in welchem Umfang die Projekte hereinkommen, in welcher konkreten Beschaffenheit und in welcher Stadt. Ein klassischer gewerblicher Mitarbeiter im Tief- und Straßenbau kann kein Projekt im Hochbau begleiten; da sind andere Trupps mit anderem Know-how im Einsatz.

Die Konjunkturprognosen sind zuletzt zurückhaltender geworden. Geht der Boom zu Ende?

In den nächsten zwei oder drei Jahren könnte es natürlich zu einer Eintrübung kommen. Aber mit unseren lang laufenden Projekten werden wir nicht als erste betroffen sein, sondern erst nachgelagert. Architektur- und Planungsbüros haben gegenwärtig ebenso wie wir volle Auftragsbücher. Das Geschäft wird uns so schnell nicht ausgehen.

Und wie sieht es bei Wolff & Müller aus?

Wir werden in diesem Jahr einen Umsatz von rund 850 bis 900 Millionen Euro erzielen. Wir werden also weiter wachsen. Bei den Auftragseingängen halten wir voraussichtlich das Niveau des Vorjahres. An der ein oder anderen Stelle treten wir auch ganz bewusst auf die Bremse. Wir lehnen Aufträge ab, bei denen wir nicht sicher sind, dass wir das Projekt zum gewünschten Zeitpunkt abschließen können, weil wir zum Beispiel die erforderliche Mannschaft nicht stellen können.

Wenn die Binnenkonjunktur mal schwächelt, dann könnte das Auslandsgeschäft einen Ausgleich bieten. Warum geht Wolff & Müller nicht ins Ausland?

Wir haben mit unserer Marke Wolff & Müller immer nur in Deutschland gebaut. In der Bauausführung kommen wir auf 500 bis 600 Millionen Euro Umsatz pro Jahr. Der für uns relevante Markt hat aber ein Volumen von 80 bis 100 Milliarden Euro. Da haben wir noch genügend Wachstumspotenzial. Hinzu kommt: Ein einziger Schritt über die Landesgrenzen bringt ganz andere Vertragsgestaltungen, Standards und Normen mit sich. Die Komplexität würde enorm zunehmen.

Der Produktivitätsfortschritt beim Bauen hält sich in Grenzen, weil die Arbeit stark handwerklich geprägt ist und industrielle Ansätze fehlen. Weltweit ist die Produktivität in den vergangenen 20 Jahren am Bau nur um ein Prozent pro Jahr gestiegen. Müsste sich das nicht ändern?

Gegenwärtig wird intensiv über das modulare Bauen diskutiert und daran haben wir starkes Interesse. Es ist noch viel Entwicklung notwendig, bis das, was wir aus dem Fertighausbau kennen, auf andere Bereiche übergeht. Ansätze gibt es über vorgefertigte Wandteile hinaus zum Beispiel mit Nasszellen im Hotelbau. Wir versuchen gerade in einem Projekt, die Haustechnik in Form einer Zelle in ein Gebäude zu bringen. Wenn wir solche modularen Ansätze erkennen, integrieren wir das in unsere Arbeit.

Ein Zauberwort, das die Branche unter dem Stichwort Digitalisierung gegenwärtig elektrisiert, ist Building Information Modeling (BIM). Alle reden davon, aber passiert in der Realität auch etwas?

Im Prinzip geht es darum, erst virtuell und dann real zu bauen. Wir haben das in vielen Projekten und Bereichen eingesetzt, einfach auch um zu Lernen. BIM ist aber weit davon entfernt, in allen Projekten bereits Standard zu sein. Wir setzen gegenwärtig fünf oder sechs Projekte mit BIM um, weil noch nicht alle Beteiligten dafür aufgestellt sind. Im Übrigen gilt: Ich will meine Partner nicht ausschließlich über die Frage auswählen, bist du BIM-fähig?

Was bringt BIM?

BIM macht Bauprojekte besser planbar, termin- und kostensicherer. Alle Beteiligten arbeiten gemeinsam am digitalen Gebäudemodell, das außer der 3D-Geometrie auch die Faktoren Zeit und Kosten enthält. Sie müssen sich viel früher und enger abstimmen als beim klassischen Bauen. BIM ist also zugleich eine Projektmanagement-Methode zur Disziplinierung der am Bau Beteiligten

Geht es etwas konkreter? Den Bau des Rathauses in Leonberg haben Sie ja mit Hilfe von BIM umgesetzt.

Das Rathaus war eines der fortschrittlichsten BIM-Projekte in Deutschland. Wir haben zum Beispiel die gesamte Haustechnik in 3-D abgebildet. Somit war zum Beispiel erkennbar, wie die Abwasserrohre und die Steigleitungen verlaufen und ob es da Überschneidungen gibt. Auf diese Weise konnten an die 200 solcher größeren und kleineren Kollisionen bereits im Vorfeld des Baus erkannt und rausgenommen werden.

Welche weiteren Möglichkeiten bietet die Digitalisierung beim Bauen?

Rund um BIM nutzen wir weitere digitale Technologien wie Drohnen, Virtual Reality oder die digitale Vernetzung von Baustellen und Baufahrzeugen mit dem Beton- und Asphaltwerk. Ich habe auf meinem Smartphone eine App fürs Auto, mit der mir das Fahrzeug Auskunft gibt über seinen Zustand. So etwas bieten wir auch für Gebäude an. Dabei werden Informationen zum Beispiel über Luftfeuchtigkeit und Temperatur mit Hilfe von Sensoren gesammelt. Das kann wieder zum Abgleich mit den Annahmen dienen, die bei BIM vor dem Bau getroffen wurden. Damit schließt sich dann der Kreis von der Planung bis zum Betrieb eines Gebäudes.