Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann will Staus aufgrund von Verkehrskontrollen in Stuttgart vermeiden. Eine Ersatzlösung für die Blaue Plakette soll das Problem lösen.

Chefredaktion: Anne Guhlich (agu)

Stuttgart - Ministerpräsident Winfried Kretschmann sieht Fortschritte bei der Frage, wie die Einhaltung der ab 2019 geltenden Fahrverbote kontrolliert werden kann. Es sei klar, dass Schadstoffkontrollen im stehenden Verkehr zu einer erheblichen Staubildung führen würden, sagte Kretschmann im Interview mit unserer Zeitung.

 

„Wir befinden uns deshalb in Gesprächen mit dem Bundesverkehrsminister, um eine andere Lösung zu finden“, so der Ministerpräsident. „Wir streben an, dass es für alle Fahrzeuge eine Kennzeichnung gibt, die man sich hinter die Windschutzscheibe kleben kann und aus der die Schadstoffklasse hervorgeht beziehungsweise, ob ein Fahrzeug nachgerüstet wurde. Anders geht es nicht.“ Kretschmann rechnet damit, in den nächsten Wochen zu einer Lösung zu kommen. Ein solcher Aufkleber wäre eine Ersatzlösung für eine Blaue Plakete, die vom Bund bisher abgelehnt wird.

Lesen Sie hier das komplette Interview: „Wir dürfen uns nicht abhängen lassen“

Kretschmann wird für enges Verhältnis zur Branche kritisiert

Seine Kritiker werfen Kretschmann indes ein zu enges Verhältnis zu den Automanagern vor. Dieses könnte ihm zum Verhängnis werden, falls auch baden-württembergischen Herstellern noch Betrug beim Abgasskandal nachgewiesen wird. „Vielleicht stellt sich die enge Zusammenarbeit mit der Autoindustrie eines Tages als Fehler heraus“, sagte Kretschmann. „Aber es ist trotzdem besser, zusammenzuarbeiten, als nichts zu tun und dadurch Zukunftschancen zu verpassen.“ Die Autoindustrie stelle schließlich das Rückgrat der Wirtschaft im Land dar. „In der Politik ist der Anreiz, Fehler zu vermeiden, um ein Vielfaches größer als der Antrieb, eine Innovation hervorzubringen“, fuhr er fort. Der Wandel in der Autoindustrie und die Digitalisierung erforderten aber ein neues Denken und neue Arbeitsstrukturen.

„Richtig ist, dass wir in der Politik bislang zu wenig Formate für vernetztes Denken haben“, so Kretschmann. „Die traditionellen Unternehmen werden durch die Start-ups getrieben und haben ihre Organisationsstrukturen in den vergangenen Jahren stark verändert.“ Sie seien heute wendiger und könnten schneller reagieren. „Wir in der Politik dagegen sind immer noch in unseren Ressorts verhaftet und werden nicht von Innovatoren getrieben, sondern von der AfD“, so der Ministerpräsident. Diese wolle keinen Aufbruch in die digitale Zukunft, sondern propagiere das Weltbild, das früher alles besser war. „Das ist einfach nur total retro und lähmt uns.“

Als Beispiel für ein innovatives Kommunikationsformat sieht er den Strategiedialog mit der Autoindustrie, den er 2017 erfunden hat. Das letzte Treffen sei eine „regelrechte Innovationsorgie“ gewesen. „Nun wäre es höchste Zeit, dass auch auf Bundesebene ein Strategiedialog nach baden-württembergischem Vorbild etabliert wird.“ Besonders viel Nachholbedarf sieht Kretschmann bei der Digitalisierung der Bildungspolitik. Dies sei die größte Herausforderung. Der Digitalpakt der Bundesregierung sei eine „totale Katastrophe“.