Mittelfeldmann Tim Rudloff ist bei Fußball-Verbandsligist SKV Rutesheim nicht wegzudenken – denn er stiehlt sich nicht aus der Verantwortung. Und er kann noch mehr.

Sport: Jürgen Kemmner (jük)

Serien im Sport üben einen besonderen Reiz aus. Fußball-Rekordmeister FC Bayern München etwa hat 19 Bundesliga-Partien in Folge gewonnen. Diese Bestmarke ist leicht zu finden. Schwieriger wird’s bei Kevin Vogt, der im Trikot des Bundesligisten TSG Hoffenheim am 1. November 2019 beim 3:0 über den SC Paderborn 172 Pässe gespielt hat, ohne dass einer beim Gegner landete. Eine länger andauernde Passquote von 100 Prozent hatte kein Profi. Ob die 1620 Minuten, die Tim Rudloff in dieser Saison ununterbrochen für die SKV Rutesheim wirbelte, zumindest einen Liga- oder Vereinsrekord für einen Feldspieler darstellen, das zu recherchieren, wäre so zeitfressend als wolle man klären: Wie oft hat der begnadete Linksfuß Lionel Messi bei einer WM mit rechts aufs Tor geschossen?

 

Tim Rudloff kickt einige Etagen tiefer als der argentinische Weltmeister, aber dem 23-Jährigen ist es gelungen, 18 Partien in Folge von der ersten bis zur letzten Minute der Nachspielzeit für seinen Club zu bestreiten – erst am letzten Spieltag vor Weihnachten musste er passen. Im Training umgeknickt, Bänderverletzung. „Es ärgert mich, dass die Serie gestoppt wurde – das war herzzerreißend“, sagt er vor dem Start nach der Winterpause, wo er am Ball ist, wenn die SKV an diesem Samstag (15 Uhr) beim VfL Sindelfingen antritt. „Jetzt starte ich eben eine neue Serie“, sagt er.

Kein anderer aus dem Kader von Trainer Christopher Baake hatte eine so dauerhafte Einsatzgarantie, die nicht von ungefähr kommt. Tim Rudloff ist so etwas wie die Eier legende Wollmilchsau oder ein Schweizer Taschenmesser in der Defensive – egal, auf welcher Position er platziert wird, er steht seinen Mann, bearbeitet die Gegenspieler und ist aktiv gegen den Ball. Er kann Innenverteidiger und vor der Abwehr oder im zentralen Mittelfeld, nur im Tor wäre er fehl am Platz. „Ich bin flexibel einsetzbar“, sagt der Student der Immobilientechnik, „und war verletzungsfrei. So kommt man auf hohe Einsatzzeiten.“ Das bestätigt sein Trainer. „Tim ist erstklassig ausgebildet und ein echter Allrounder“, sagt Baake.

Eine Lieblingsposition hat der Rechtsfuß, der am 20. März 24 Jahre alt wird, natürlich auch: die Sechserposition, der Mann vor der Abwehr, der einerseits abräumt, der andererseits das Aufbauspiel einleitet. Sami Khedira, der Weltmeister von 2014, der Ex-Profi von Real Madrid, Juventus Turin und 2007 deutscher Meister mit dem VfB Stuttgart, hat diese Position so ausgefüllt, wie sie Tim Rudloff gern interpretiert. „Er war ein Vorbild“, bestätigt er, „ich bin wie er ein Typ, der von der Ruhe lebt, und der intensiv gegen den Ball arbeitet.“

Vorbild ist Sami Khedira

Wie Sami Khedira, mittlerweile Berater des VfB, hat auch Tim Rudloff einst das Trikot mit dem roten Brustring übergestreift, von der U 15 bis zu den A-Junioren. Weil er in Bad Cannstatt aber keine Perspektive sah, wechselte er zum FC Ingolstadt, wo er in der Junioren-Bundesliga und dann in der U 23 in der Regionalliga Bayern spielte – nur um bei den Schanzern im Lauf der Saison 2018/2019 festzustellen, dass „es für ganz oben nicht reicht“, erzählt der Allrounder. Also kehrte der Fußballer, der bei der SG Weilimdorf das Kicken erlernt hatte, in die Heimat zurück und schloss sich im Sommer 2019 der SKV Rutesheim an – auch weil die Uni im Pfaffenwald in Stuttgart-Vaihingen vom Wohnort Gerlingen bestens zu erreichen ist.

Zwar mag Tim Rudloff mit knapp 24 Lenzen weit davon entfernt sein, als Routinier tituliert zu werden, jedoch ist er mit einer ordentlichen Portion Erfahrung ausgestattet, da er als Fußballer mehr kennengelernt hat als den Sportplatz im Bühl und seine Umkleidekabine – dieses Wissen bringt er in die junge Truppe (Durchschnittsalter 23,4 Jahre) ein und geht als Vorbild voran. „Ich übernehme gerne Verantwortung, in dieser Rolle fühle ich mich wohl“, betont der Mittelfeldmann, der im Team einen hohen Stellenwert genießt. Das bestätigt Trainer Baake. „Ich verlange von Tim, dass er Verantwortung übernimmt“, sagt der Coach, „zudem fungiert er hervorragend als das Bindeglied zwischen jüngeren und älteren Spielern.“

Treueschwur für die SKV Rutesheim

Dass die Rutesheimer gegen den Sturz eine Klasse tiefer kämpfen, mittlerweile sind es 14 Punkte auf einen sicheren Nichtabstiegsplatz, lässt den Mann zwar nicht jubeln, doch er weiß längst, dass Fußball nur in Ausnahmefällen ein Wunschkonzert ist. Egal, wie die Runde endet, Rudloff bleibt dem Verein treu. „Wenn ich wechseln würde, würde ich mir vorkommen, als wenn ich ein sinkendes Schiff verlasse“, meint er, „das entspricht nicht meinem Charakter.“ Lieber geht Tim Rudloff, sollte sich die SKV tatsächlich in der Landesliga wiederfinden, mit breiter Brust und neuem Elan voran, um den Club zurück in die Verbandsliga zu führen.