Fußgänger gelten bisher in Stuttgart als vernachlässigte Verkehrsteilnehmer. Mit einem neuen Fußverkehrskonzept für die fünf Innenstadtbezirke will die Stadt dies ändern. Etwa 800 000 Euro wären dafür jährlich in den nächsten zehn Jahren nötig.

Psychologie/Partnerschaft: Nina Ayerle (nay)

S-Süd - Nur Mängel zu beseitigen, ist Wolfgang Forderer zu „defensiv“. Er möchte etwas „Kreatives“, um die Stuttgarter zu ermuntern, mehr zu Fuß zu gehen und das Auto stehen zu lassen. Der Leiter der Stabsstelle Mobilität im Stuttgarter Rathaus hat dazu drei Punkte auf seiner Wunschliste: ein Stäffelesprogramm und eines für Barrierefreiheit. Und zusätzlich möchte er eine „Wohlfühlatmosphäre schaffen“. Die Fußgänger sollen es beim Laufen schön haben. Bisher fallen ihm dazu in der Innenstadt nur wenige Beispiele ein. Die Tübinger Straße oder das Hospitalviertel. „Das ist eine tolle fußgängergerechte Umgebung geworden“, findet er.

 

„Der Fußgänger“ möchte auch die Stuttgarter Bürgern zum Spazieren animieren

Doch das ist Forderer, der von Oberbürgermeister Fritz Kuhn den Spitznamen „Der Fußgänger“ erhalten hat, nicht genug. Im Auftrag der Stadt hat die Dortmunder Planersocietät den Fußverkehr in der Innenstadt begutachtet. In jedem der fünf Innenstadtbezirke hat das Unternehmen zum einen Hauptfußwegen ausgemacht, die Fußgänger am meisten nutzen, und Flanierrouten. Die fallen unter die Kategorie „Wohlfühlatmosphäre“. Daraus ist das „Fußverkehrskonzept Innenstadt“ entstanden.

Bei der Förderung des Fußverkehrs gehört Stuttgart nicht zu den Pionierstädten. Fußgänger sind die flexibelsten Verkehrsteilnehmer. Das werde ihnen oft zum Nachteil. „Da brauchen wir einen Gedankenwechsel“, sagt er. So gebe es in Wien, Zürich und London Schilder, die Wege zu markanten Punkten in Fußminuten angeben. Das wünscht sich Forderer auch. Er berate darüber darüber mit den städtischen Verkehrsplanern. Wichtig sei bei allen Überlegungen auch die Frage, wem der öffentliche Raum gehört, sagt Forderer. Stuttgart als „Autostadt“ – diese Fahne könne man nicht ewig vor sich hertragen.

Viele Bürgen wünschen das auch nicht mehr, sie wollen ihre Stadt zum Leben. Auch dafür hat Forderer Vorbildstädte gefunden: Frankfurt zum Beispiel erprobt seit letzten Sommer in manchen Vierteln „Spielstraßen auf Zeit“ – auch mit dem Ziel, die Straße als Lebensraum für die Menschen zurück zu gewinnen.

Fußwege kommen in Stuttgart kaum zur Geltung

Dazu kommt: rund ein Drittel der Wege in der Stadt seien ohnehin Fußwege, werden aber als solche kaum beachtet. Im Zuge der stets erhöhten Feinstaubwerte und der Debatte über Fahrverbote sieht Forderer es als notwendig an, endlich in den Fußverkehr zu investieren. Für die 14 Hauptwege in den fünf Innenstadtbezirken wurde mit der Planersocietät eine Mängelliste erstellt. Mängel sind zum Beispiel mangelnde Barrierefreiheit, fehlende Beleuchtung, Ampelschaltungen und ungesicherte Querungen. Für das gesamte Konzept rechnet er mit rund 800 000 Euro jährlich in den nächsten zehn Jahren. Die Mittel sollen nun in den kommenden Doppelhaushalt eingespeist werden.

Im Süden plant das Tiefbauamt bereits an einigen Stellen kleine Verbesserungen. So soll die Fußgängerfurt zwischen dem Marienplatz und dem Südtor-Gebäude verbreitert werden. An der Ecke Silberburg-/ Tübinger Straße soll ein dauerhafter Zebrasteifen hinkommen, die Etzelstraße wurde mit Gehwegnasen umgestaltet, die Autofahrer an Tempo 30 erinnern sollen.

Für Süd ist die Verbindung zwischen Österreichischem Platz und Heusteigviertel wichtig

Von den 16 geplanten Flanierrouten sollen fünf teilweise im Süden verlaufen. Der Bezirksbeirat Süd hat sich die Möhringer Straße als Flaniermeile gewünscht. „Familien mit Kindern laufen ungern auf der Böheim- oder der Böblinger Straße“, sagt Bezirksvorsteher Raiko Grieb. Auch die Querung am Österreichischen Platz findet er bisher „unattraktiv“; die Verbindung vom Heusteig- und Lehenviertel mit der Tübinger Straße sei aber „unerlässlich“, weil in den beiden Südvierteln viele kleine Geschäfte angesiedelt seien.

Das genau ist Teil der Idee von Forderer. Die Flanierrouten wurden nicht nur nach Schönheit ausgewählt: „Das ist quasi auch Wirtschaftsförderung.“ Fußgängerrouten entlang des lokalen Einzelhandels, um das Geschäft anzukurbeln – das hat Forderer auch woanders gesehen. In Melbourne nämlich. In der australischen Stadt würde diese „ganz aktiv“ umgesetzt.