Arbeiten der gebürtigen Leonberger Künstlerin Gudrun Brückel sind ab Sonntag im Leonberger Galerieverein zu sehen.

Kaum hat der Besucher den Galerieverein betreten, springen ihm die beiden Arbeiten gegenüber an der Wand ins Auge, die an Industriearchitektur erinnern. Während im unteren Stockwerk Arbeiten zu sehen sind, die auf Reales zurückgehen, hat der Betrachter es im oberen Stockwerk mit Werken zu tun, die ganz und gar der Fantasie der Künstlerin Gudrun Brückel entsprungen sind. Sie zeigt ab Sonntag einen Teil ihrer Collagen, Drucke und Objekte unter dem Titel „Prototypen“ im Leonberger Galerieverein. In ihren grafischen Serien spielt Seidenpapier eine zentrale Rolle. In transparenten Schichtungen lässt sie ihrer Einbildungskraft freien Lauf.

 

Wer im Erdgeschoss den Weg nach links einschlägt, trifft auf Bilder, auf denen Steinbrüche zu erkennen sind. Auf mehreren finden sich Leitern,angedeutete Häuser sowie Farbflecke in orange, hellblau und rot. Diese Arbeiten seien in Zusammenhang mit einem Projekt der TU Dresden und verschiedenen Partnern entstanden, sagt die gebürtige Leonbergerin Gudrun Brückel. Die Grundlage für ihre Bilder sind Fotos gewesen, die im Elbsandsteingebirge gemacht wurden. Dort hätten im 19. Jahrhundert Sprengungen in Steinbrüchen stattgefunden. Die Steine wurden über die Elbe verschifft. Die Fotos hat Brückel für ihre Arbeiten eingescannt und auf Seidenpapier ausgedruckt.

Beim Thema Sprengung kommt dem Betrachtenden unweigerlich die Leonberger Bausparkasse in den Sinn. Kaum ausgesprochen, erzählt Gudrun Brückel, dass das Grundstück auf dem die Leobau gestanden habe, ihren Großeltern mütterlicherseits gehört hat.

Piranesi hat sie schon immer fasziniert

Während sie noch vor den Arbeiten steht, bekennt die Malerin und Grafikerin, dass Piranesi sie schon immer fasziniert habe. Und in der Tat erinnern die Werke im Erdgeschoss mehr oder weniger an die des Kupferstechers und Architekten. Auch auf ihren Bildern findet sich Leere, das Gezeigte ist instabil. „Manches ist wackelig, und es gibt Stufen, die ins Nichts führen“, sagt Brückel.

Im Kabinett im Erdgeschoss des Galerievereins finden sich weitere Arbeiten, die an Industriearchitektur erinnern. Zu diesen Werken haben sie die zahlreichen leeren Fabrikgebäude aus DDR-Zeiten inspiriert, als sie im Jahr 1997 nach Dresden kam. Die Grundlage für ihre Kunstwerke bildeten auch hier Fotos, die Brückel eingescannt hat. Mit einem Kopierer, den sie einst geschenkt bekommen habe, habe sie ihr eigenes Verfahren gefunden, Seidenpapier zu bedrucken und alles anschließend weiter „zu verfeinern“. Dadurch sei diese „Fantasiearchitektur“ entstanden, so Brückel. Die Serie von Bildern an der langen Wand des Kabinetts ist laut der Künstlerin „nur ein klitzekleiner Ausschnitt aus einer riesengroßen Serie“. Und sie fügt hinzu, dass der Betrachter „ein bisschen gucken“ müsste, um auf den Bildern immer wieder Neues zu entdecken. „Da sollte man mit den Augen spazieren gehen“, betont sie.

„Da sollte man mit den Augen spazieren gehen“

Auf Millimeterpapier aus Kamerun, das eine andere Einteilung und eine andere Farbe als unser Millimeterpapier hat, sind Tore und Pylone zu sehen. Diese Collagen erinnern an Skizzen von Architekten, obwohl die Künstlerin auch hier „fantasiert“ hat, wie sie es nennt. Und lachend fügt Brückel hinzu: „Architekten mögen das nicht. Das ist so zusammengepuzzelt.“

Oben angekommen steht der Besucher vor hohen Weckgläsern mit außergewöhnlichen Motiven. „Diese Arbeiten sind bei einem Projekt mit drei Kolleginnen in der Bretagne entstanden. Das Thema waren Algen“, sagt Gudrun Brückel. Die Idee dazu sei ihr schon in Island gekommen. Dort hat sich die Künstlerin mehrmals als Artist in Residence aufgehalten. Begeistert zeigt sie auf ein Weckglas mit einem hellbraunen Gewinde innen, das entfernt an ein Rückgrat erinnert. „Das sind Algen. Eigentlich sind sie steif. Aber wenn man sie feucht macht, kann man sie in alle Richtungen auseinanderziehen“, erklärt die Brückel das ungewöhnliche Gebilde.

Beschäftigung mit Viren in der Corona-Zeit

Hier wird deutlich, welch große Faszination die Entstehung von Lebewesen auf Gudrun Brückel ausübt. Dass sie sich dann während der Corona-Zeit mit Viren eingehender künstlerisch auseinandergesetzt hat, verwundert deshalb nicht. „Viren – der Gedanke hat mich so gepackt“, betont sie. Das sei ein bisschen Science Fiction – „wenn Menschen sich ausrotten.“ Und sie liebe Science Fiction, gibt Brückel zu.

Das Ergebnis der Beschäftigung mit Viren ist ebenfalls im oberen Stock des Galerievereins zu sehen: Die Bilder mit dem Titel „Grotesken“ zeigen merkwürdige Objekte, fiktive Wesen, mit Greifern und Stacheln, Flügeln wie von Schmetterlingen oder Vögeln – Fantasiegebilde eben. „Diese Arbeiten sind Drucke auf zwei Ebenen, einer auf Zeichenpapier, einer auf Pergamentpapier. Sie ergänzen sich zu neuen Lebewesen, Chimären,“ wie Brückel sagt. Auch Computerarbeit sei dabei.

Auch wenn es bei den Arbeiten im Erdgeschoss nicht so deutlich hervortritt wie bei denen, die im oberen Stockwerk des Galerievereins präsentiert werden: Gudrun Brückel entführt mit ihren Werken immer in eine imaginierte, fiktive Welt.

Die Ausstellung „Prototypen“ wird am Sonntag, 19. November, um 11.15 Uhr eröffnet. Bei der Vernissage spricht Karin Eisenkrein von der grafischen Sammlung der Staatsgalerie Stuttgart.