Der deutsche Auslandsgeheimdienst darf nicht einfach Telefondaten massenhaft speichern, urteilt das Bundesverwealtungsgericht. Sicherheitsexperte warnen vor Risiken.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - Wo endet eigentlich der Geltungsbereich des Artikels 10 unseres Grundgesetzes? Er schützt ein Rechtsgut, das den Interessen von Sicherheitsbehörden im Wege steht: das Fernmeldegeheimnis. Der Bundesnachrichtendienst (BND) wähnt sich davon unbehindert, da sein Einsatzgebiet im Ausland liegt.

 

So einfach ist die Sache jedoch nicht, wie ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts mit dem Aktenzeichen A 6.16 zeigt. Wenn der BND Telefonverbindungen anzapft, deren Ziel- und Endpunkte nicht in Deutschland liegen, könnte dennoch ein Bundesbürger den Hörer in der Hand halten – also einer, der sich auf Artikel 10 berufen darf. Deshalb wollen die Richter aus Leipzig dem deutschen Auslandsgeheimdienst untersagen, Telefondaten auf Vorrat zu speichern, von denen nicht klar ist, ob sie dem Fernmeldegeheimnis unterliegen. Datenschützer feiern das als Erfolg. Sicherheitsexperten warnen: So werde der Kampf gegen Terroristen behindert.

Für wen gilt das Fernmeldegeheimnis?

Bei dem Fall geht es um eine Datei mit dem Kürzel Veras. Das steht für Verkehrsdatenanalysesystem. Was es damit auf sich hat, ist in einem geheimen Prüfbericht der Bundesdatenschutzbeauftragten Andrea Voßhoff vom Juli 2015 nachzulesen. Der BND sammelt in der Datei so genannte Metadaten: das sind die Nummern der Telefone, von denen aus Gespräche geführt werden, die Dauer dieser Gespräche und eventuelle Standortangaben, sofern es sich um Handys handelt. Zweck dieser Überwachung sei das „Auffinden neuer nachrichtendienstlich relevanter Personen“ – Terrorverdächtige und deren Kontaktleute.

Nach Ansicht der Datenschutzbeauftragten darf der BND diese Daten nur verwenden, sofern diese „für seine Aufgabenerfüllung erforderlich“ seien. Dies müsse „spätestens zum Zeitpunkt der Speicherung“ feststehen. Oft lässt sich aber erst hinterher sehen, ob ein Gespräch oder eine Person für Terrorermittlungen relevant ist. Deshalb halten Sicherheitsexperten die Datenspeicherung auf Vorrat für unerlässlich. Exakt das betreibt der BND mit Veras. Er speichert die Daten für 90 Tage und benutzt sie für seine Analysen. Dabei kämen unter Umständen auch „unbescholtene Personen“ ins Visier des Geheimdienstes, die nur zufällig Kontakt mit Terrorverdächtigen hätten, so befürchtet die Datenschutzbeauftragte.

Weltweit kein einziger Geheimdienst, der solchen strengen Regeln unterliegt?

Welche Daten in Veras gespeichert werden, ist unklar. Nach Informationen des Datenschutz-Blogs netzpolitik.org zapft der BND an zwölf Stellen die Telekommunikation an, unter anderem am weltweit meistfrequentierten Internetknoten DE-CIX in Frankfurt. Veras sei „mehr als eine einfache Datenbank“. Nach Angaben der Organisation Reporter ohne Grenzen, einem der Kläger beim Bundesverwaltungsgericht, handelt es sich vielmehr um eine Software, mit deren Hilfe die gespeicherten Kontaktdaten analysiert werden. Im Verdachtsfall könne das System „Gesprächsteilnehmer identifizieren und den Zugang zu Gesprächsinhalten erlauben“ – obwohl die Daten laut BND vor dem Speichern anonymisiert werden.

Clemens Binninger, langjähriger Vorsitzender des Parlamentsgremiums zur Kontrolle der Geheimdienste, verweist auf ein Problem: „Es geht hier um strategische Aufklärung. Die soll Erkenntnisse liefern, wie sie im Fall Amri erwartet wurden.“ Falls dem BND jetzt Fesseln angelegt würden, wäre das ein Hemmnis im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Andere Sicherheitsexperten sagen: Wenn das Urteil Rechtskraft erlange, dann wäre der BND weltweit der einzige Geheimdienst, für den solche strikten Regeln gelten.