Neben all den bekannten Problemen kämpft die Große Kreisstadt vor allem mit ihrem Image. Dabei gibt es große Chancen. Die aber verlangen unorthodoxes Denken, Mut und Stehvermögen.

Leonberg - Altgediente Stadträte mögen sich an die erregten Diskussionen erinnert haben, als es vor knapp zehn Jahren um die Zukunft des Hallenbades ging. Zwei unversöhnliche Lager standen sich im Gemeinderat gegenüber, bevor durch einen Bürgerentscheid der Standort des Bades geklärt wurde. Danach, auch unter dem Eindruck der heftigen Auseinandersetzungen, gingen die Kommunalpolitiker behutsamer und respektvoller miteinander um.

 

In diesen Tagen ist der Ton wieder rauer geworden: Ausdruck einer gesteigerten Nervosität angesichts einer Wahl, bei der keiner seriös voraussagen kann, wie sie ausgehen wird. Dass auf traditionelle Klientelen kein Verlass mehr ist, hat spätestens die OB-Wahl vor anderthalb Jahren gezeigt, bei der kaum einer mit dem Durchmarsch des auswärtigen Kandidaten gerechnet hatte. Die Botschaft war eindeutig: Die Menschen wollten Martin Kaufmanns frischen Wind, den der Kandidat ihnen versprochen hatte.

Inwieweit dieser nun durch die Straßen der Stadt und die Flure des Rathauses pfeift, darüber gehen die Meinungen auseinander. Aber es steht ja auch nicht der Oberbürgermeister zur Wahl, sondern der Gemeinderat. Und der sieht sich mit Problemen konfrontiert, die fast jede mittelgroße Stadt hat: Einen leer gefegten Wohnungsmarkt, verstopfte Straßen, schlechte Luft und Lärm, der Kampf um attraktive Arbeitsplätze und die Finanzierung der Kindergärten und anderer Sozialeinrichtungen. All das wird potenziert durch das Autobahndreieck, das quasi mitten in der Stadt liegt. Die Wege sind zwar vermeintlich kurz, doch die Staus sind dafür umso länger.

Die Wiederauferstehung von LEO reicht nicht aus

Das ist nicht das einzige problematische Alleinstellungsmerkmal. Die Stadt kämpft um ihr Krankenhaus, das im Zuge einer gewinnorientierten wie zentralistischen Gesundheitspolitik von Bund und Land längst noch nicht langfristig gesichert ist. Vor allem aber kämpft die Stadt mit ihrem Image. Die Renaissance ihres vor vier Jahrzehnten von Ministerialbürokraten eingestampften Kennzeichens, lässt zwar ein identitätsstiftendes Selbstbewusstsein erkennen. Doch die Wiederauferstehung von LEO reicht nicht aus, um Leonberg zu dem zu machen, was es sein könnte: Ein dynamisches Mittelzentrum mit attraktivem Einzelhandel und Gastronomie sowie vielfältiger Kultur, das seine Stärken in den Mittelpunkt stellt.

Eine davon ist tatsächlich die Altstadt mit dem Pomeranzengarten. Statt aus dem Kleinod, das bei auswärtigen Besuchern regelmäßig Verzückungen hervorruft, eine echte Marke zu machen, wird seit Jahren günstigstenfalls halbherzig über Wege der Wiederbelebung diskutiert. Die können nicht funktionieren, wenn die Stadt nicht den Menschen gehört. Das historische Viertel rund um den Marktplatz ist aber nicht, wie andernorts üblich, autofreie Zone. Und es ist auch nicht die Kulisse für ein reges Leben – der eigentliche Sinn eines jeden Marktplatzes. Geht es darum, mit mutigen Schritten das darbende Dasein zu beenden, ist bei vielen Lokalakteuren eine bemerkenswerte Zurückhaltung zu konstatieren, interessanterweise auch bei jenen, die das Credo der menschenfreundlichen Innenstädte für sich reklamieren.

Manchmal bedarf es großer Worte, um große Taten zu erreichen.

Gewiss: Leonberg hat viele andere Probleme. Doch die meisten Themen hängen miteinander zusammen. Die Blechlawinen in der Innenstadt tragen erheblich dazu bei, dass sich Urbanität vor allem über volle Straßen definiert, nicht aber über Aufenthaltsqualität. Dass es in solch einer verzwickten Situation legitim, ja notwendig ist, neu zu denken, mag auf der Hand liegen. Doch die Aufgeregtheiten um Kaufmanns Seilbahn-Idee zeigen, dass unorthodoxe Lösungsansätze in Leonberg selten auf fruchtbaren Boden fallen. Natürlich ist es eher unwahrscheinlich, dass eine Seilbahn kommt. Doch andere Städte, unter anderem Stuttgart, setzen sich ernsthaft mit Gondeln auseinander. Und eines hat der OB erreicht: Der öffentliche Nahverkehr ist seither in aller Munde.

Manchmal bedarf es eben der großen Worte, um auch große Taten zu erreichen. Die Neugestaltung des Postareals ist eine neue Chance, der Innenstadt doch noch ein neues, freundliches Profil zu geben. Dies kann nur gelingen, wenn ganzheitlich gedacht wird und aus dem verbalen Brückenschlag ein echter wird, der das historische Zentrum und die neue Stadtmitte beschwingt verbindet und die Sinne anregt. Dazu braucht es den viel zitierten Blick über den Tellerrand und die innere Kraft, zu einer Entscheidung zu stehen. Dem Leonberger Gemeinderat, der in der Vergangenheit oft unter schwierigen Bedingungen gute wie sachorientierte Beschlüsse gefasst hat, ist zu wünschen, dass diese Basistugenden in der Zukunft durch ein Stück mehr Mut zum vermeintlichen Ungewöhnlichen bereichert wird. Stellt sich doch das Unbekannte bisweilen als das genau Passende heraus.