Besucher können sich Samen für alte heimische Gemüsesorten ausleihen, sie im Garten oder auf dem Balkon anpflanzen und nach der Ernte neues Saatgut zurückbringen.

Sie sind eine Gegenbewegung zu den großen Genfood-Konzernen: die Saatgutbibliotheken. Sie sollen helfen, den ursprünglichen Genpool in Landwirtschaft und Garten zu stärken. In Baden-Würrtemberg ist diese Aktion nicht so weit verbreitet. Neu dabei ist die Stadtbücherei Filderstadt und jetzt auch die Stadtbibliothek Heimsheim. Wie es dazu kam, und was eine Saatgutbibliothek überhaupt ist, erzählt Tina Kühnle-Häcker, Leiterin der Bücherei Heimsheim.

 

Frau Kühnle-Häcker, wie funktioniert eine Saatgutbibliothek?

Wie sonst Bücher oder andere Medien können sich Interessierte hier im Frühjahr Samen alter Gemüsesorten „ausleihen“ und im Garten oder auf dem Balkon einpflanzen. Im Herbst sollte dann möglichst das neu geerntete Saatgut zurückgebracht werden, damit es andere Besucher ausleihen können. Wichtig zu erwähnen ist, dass das gespendete Saatgut, wie auch schon das ausgeliehene, „samenfest“ ist, es darf also nicht von Hybridpflanzen stammen. Auf diese Weise möchten wir alte heimische Sorten bei uns erhalten.

Wieso ist das so wichtig?

Vor 40 Jahren haben die Vereinten Nationen zum ersten Mal über den massiven Verlust der Vielfalt von Nutzpflanzensorten berichtet. Von 285 Gurkensorten werden zum Beispiel nur noch 16 Sorten kommerziell angebaut. Die Biodiversität verschwindet völlig. Hinzukommt, dass das meiste Saatgut inzwischen Hybridsorten von großen Agrarkonzernen sind. Die sind nicht vermehrungsfähig und benötigen immer Agrarchemie. Sogenannte samenfeste Sorten sind genetisch breiter ausgestattet und können sich besser an ihre Umwelt anpassen. Der Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt (VEN) setzt sich seit Jahren für das Thema ein und hat in Deutschland unter anderem die Saatgutbibliotheken begründet.

Wie kamen Sie darauf, das Projekt auch in Heimsheim umzusetzen?

Wir sind schon seit vielen Jahren im Bereich Nachhaltigkeit aktiv. Wir betreiben zum Beispiel das Repaircafé und eine „Leihbar“. Bei der kann man sich Geräte und andere Dinge ausleihen, die man nur selten benötigt und so nicht für den einmaligen Gebrauch gleich kaufen muss, wie eine Nähmaschine zum Beispiel, einen Beamer, ein Einrad oder eine Popcorn-Maschine. Außerdem haben wir noch andere Projekte in diese Richtung, die Saatgutbibliothek ist für uns ein weiterer wichtiger Baustein.

Eine ähnliche Aktion hatten Sie bereits mit „Heimsheim blüht“, was hat es damit auf sich?

Das ist ein Projekt zusammen mit dem BUND Heckengäu, bei dem wir im Namen der Stadt Heimsheim kostenlos Biosamenpäckchen an Interessierte verteilen. Dabei geht es aber nicht um Nutzpflanzen, sondern um Blühpflanzen. Bei dieser Aktion wollen wir zeigen, wie man Gärten naturnah und insektenfreundlich gestalten kann. Das Saatgut wird verschenkt und muss nicht zurückgegeben werden.

Anders bei der Saatgutbibliothek.

Genau. Hier möchten wir einen Kreislauf starten und mehr Vielfalt in die Gärten bringen. Letztes Jahr haben wir das schon mal versucht, aber der Rücklauf war leider sehr gering. Deshalb machen wir das jetzt wie beim Medienverleih. Die Samen sind bei uns richtig katalogisiert. Wer sie ausleihen möchte, benötigt einen Bibliotheksausweis oder einen kostenlosen „Gartenausweis“. Im Herbst bekommen die Entleiherinnen und Entleiher dann die Erinnerung an die Saatgutrückgabe. Für uns ist dieses System natürlich aufwendiger, aber wir möchten damit ja einen Rücklauf bewirken, damit die Auswahl in der Saatgutbibliothek beständig wächst.

Wie gewinnt man überhaupt Saatgut aus Gemüse?

Bei manchen Pflanzen habe ich mich das auch gefragt (lacht). Bei Tomaten kann man es sich als Laie noch gut vorstellen, aber bei Salat? Genau dafür gibt es bei uns aber extra Infoveranstaltungen von Experten und Literatur zu dem Thema. Die Saatgutentleiher können sich auch beim Saatgut-Newsletter anmelden oder sich direkt an den VEN wenden. Der gibt auch kostenlose Online-Kurse. Unsere angebotenen Gemüsearten sind auf jeden Fall einsteigerfreundlich und somit auch für Gartenneulinge geeignet.

Das Gespräch führte Kathrin Klette.