Grün-Schwarz ist jetzt ein Jahr zusammen. Das Bündnis hält. Es gibt ja viel zu verteilen. Ein Kommentar von StZ-Autor Reiner Ruf.

Stuttgart - Gerade hat das Eingeständnis des Ministerpräsidenten Verbreitung gefunden, er finde nachts zu wenig Schlaf und sehne sich deshalb tagsüber nach einem Nickerchen. Das Publikum fühlt mit, Schlafmangel kennt jeder – ist keine schöne Sache. Vielleicht schliefe Winfried Kretschmann wenn nicht länger, so doch ruhiger, wenn seine Grünen im Bund in den Umfragen nicht gar so abschmierten. Aber Albträume muss ihm die Berliner Malaise auch nicht bereiten. Den Grünen im Südwesten ist es dank ihres Ministerpräsidenten gelungen, sich von den Wirrungen der Bundespartei so weit abzusetzen, dass bei einer Pleite bei der Bundestagswahl nicht gleich ihre Führungsrolle im Land infrage steht. Im Bundestag verbleiben sollten die Grünen indes schon.

 

Ein Jahr nach dem Bündnissch luss mit der CDU präsentieren sich die Grünen in der Sache pragmatisch und kompromissfähig, im Anschein bieder bis zur Spießbürgerlichkeit. Man muss schon tiefer in die Koalition hineinhören, um mitzubekommen, wo es quietscht und knirscht. Zum Beispiel beim Wohnungsbau, von dem die Grünen immer behaupten, sie wollten mehr davon, wenn es konkret wird, aber doch wieder eine seltene Eidechse entdecken oder ein Bodengutachten einfordern.

Die Finanzministerin greift in die Landeskasse und spendiert ein Eis

Doch Kretschmann und sein Vize Thomas Strobl von der CDU tun alles, um Gegensätze zu überdecken und die Koalition zusammenzuhalten. Sie reden gut übereinander und erwecken glaubhaft den Eindruck, sich gegenseitig nicht zu übervorteilen. Das ist schon ein Wert an sich. Kretschmann lässt dem Innenminister viel Raum und Geld, um sich bei innerer Sicherheit und Digitalisierung zu profilieren. Bei den Grünen löst das eine gewisse Besorgnis aus. Ihnen fehlt ein zugkräftiges Thema, der Klimaschutz ist zwar immer wichtig und, ja, er ist sogar eine Menschheitsfrage. Aber neben Islamismus, Rechtspopulismus oder dem gar nicht mehr so schleichenden Zerfall Europas wirken die Grünen mit ihrem Leitbild vom glücklichen Leben in intakter Umwelt mit gesundem Essen derzeit wie die Hobbits im Auenland. Das Urteil erscheint ein wenig garstig, beschreibt aber die Lage. Die CDU hat es einfacher. Ihr Vormann Strobl zeigt sich damit zufrieden, dass seine Partei nach einem Jahr mit dem Landesübervater Kretschmann nicht ähnlich marginalisiert ist wie die SPD am Ende von Grün-Rot.

Allerdings lebt Grün-Schwarz wesentlich davon, dass der Landesetat genügend Geld abwirft, um beide Teilhaber an der Regierungsmacht gleichermaßen glücklich zu machen. So können sie ihre jeweilige Klientel bedienen. Motto: für die CDU zwei Blasmusikakademien, für die Grünen die Absicherung der Biosphärengebiete. Wenn die Koalitionäre raufen, spendiert Finanzministerin Edith Sitzmann eine Runde Eis aus der Landeskasse, Kretschmann pustet auf die Wunden und singt zusammen mit Strobl „Heile, heile Segen“. Grüne und Schwarze leben im Glück der fetten Jahre. Bei den Ideen hapert es. Kein Vergleich zu den Anfängen von Grün-Rot, als es darum ging, ob Volksabstimmungen die parlamentarische Demokratie stärken oder aushebeln, oder darum, ob die Gemeinschaftsschule mehr Gerechtigkeit ermöglicht.

Apropos Bildung: Auch bei diesem Thema beackern Grüne und CDU ihre je eigenen Gärtchen. Man kann das als bunte Vielfalt der Schularten deuten, aber auch als Entschlusslosigkeit anprangern. Hat schon jemand eine Idee gehört, wie Baden-Württembergs Schulen im Ländervergleich aus dem Leistungsmittelmaß herausgeholt werden können? Gibt es vielleicht sogar Menschen in der Koalition, die über die Abhängigkeit des Wohlstands im Land von der Autoindustrie nachdenken? Wie funktioniert die vernetzte Mobilität, von der alle reden? Hallo, ist jemand wach? Wahrscheinlich ist in dieser Koalition Kretschmann nicht der Einzige, der müde ist.