Der Ministerpräsident sieht Grün-Schwarz nach monatelangem Streit wieder im Aufwind. Doch der Koalitionspartner gibt ihm Anlass zur Sorge.

Stuttgart - Irgendwann wurde es Hans-Ulrich Rülke zu viel. Da hielt der FDP-Fraktionsvorsitzende im Landtag dem Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann entgegen: „Ihre Erfolgsbilanz, die sie hier vorgetragen haben, erinnert mich stark an die letzten Amtsjahre von Erwin Teufel.“ Ministerpräsident Teufel hatte, als er 2005 das Staatsministerium verließ, den Südwesten 14 Jahre regiert, dies zum Nutzen des Landes. Doch gefürchtet war Teufel für seine Reden im Parlament, in denen er penibel bis hinter die dritte Stelle nach dem Komma die Segnungen seines Regierens aufzählte – ohne Rücksicht auf das mit der Dauer der Rede zunehmend komatös reagierende Publikum.

 

So weit war es bei Kretschmann an diesem Donnerstag noch nicht. Aber auch er zeigte sich bestrebt, die Stimmung in den eigenen Reihen zu heben, in dem er aufzeigte, wie gut das Land doch dastehe. Das war auch nötig. Erst am Mittwoch, am Ende eines vorangegangenen Plenartages, hatten sich die CDU-Verkehrspolitikerin Nicole Razavi und Verkehrsminister Winfried Hermann von den Grünen heftig beharkt. Es ging um die Stuttgarter Dauerbrenner Filderauffahrt und Nordostumfahrung – Probleme, die Hermann nach Ansicht Razavis endlich lösen soll. Hermann freilich ist der Ansicht, die CDU möge sich bei dieser Frage zurückhalten, habe sie doch selbst in vielen langen Jahren nichts hinbekommen.

Instrumentenkasten der Zukunftsrhetorik

So geht das jetzt schon seit Monaten: Grüne und CDU blockieren sich. Ein Umstand, den die FDP mit einer Parlamentsdebatte würdige unter dem Titel „Von der Komplementärkoalition zur Blockadekoalition – wie bei der grün-schwarzen Landesregierung die Zukunft auf der Strecke bleibt“. Kretschmann konterte mit der Feststellung, die Landesregierung sitze „weiß Gott nicht hinter dem Ofen“. Worte, die nach Zukunft klangen, perlten in Fülle verheißungsvoll von seinen Lippen: Baden-Württemberg sei europäischer Innovationsführer, in Stuttgart und Ulm sitze „der europäische Hotspot der Quantentechnologie, die nicht morgen, aber übermorgen zu einer neuen technologischen Revolution führen“ werde. Dazu: Digitalisierung, Strategien für künstliche Intelligenz, Cyber Valley, Mobilitätswende – Kretschmann bemühte den ganzen Instrumentenkasten der Zukunftsrhetorik.

Aber der Regierungschef räumt auch ein, dass es um Grün-Schwarz zuletzt nicht gut bestellt war. „Man muss auch Durststrecken überwinden“, gab er zu, wobei das etwas unbestimmte Pronomen „man“ unschwer als verlegener Statthalter für das Pronomen „wir“ fungierte. Eine solche Durststrecke, sagte Kretschmann, habe Grün-Schwarz „zwischen Weihnachten und Ostern“ durchlaufen. Und: „Es gibt auch Blockaden.“ Entscheidend sei aber, „ob man die Blockaden auflösen will und aufgelöst bekommt“. Beim Wohnungsbau und beim Klimaschutzgesetz sei dies der Koalition zuletzt gelungen.

FDP-Fraktionschef Rülke widersprach: Grün-Schwarz habe „in keiner Weise aufgezeigt, wie das Wohnraumproblem zu lösen“ sei. SPD-Fraktionschef Andreas Stoch erinnerte an „die Hakelei um die Dieselfahrverbote“, AfD-Fraktionschef Bernd Gögel sagte, alle konservativen Menschen im Land hofften, dass sich das grün-schwarze Experiment im Land nicht wiederhole. Innenminister Thomas Strobl versicherte: „Wir sind uns einig in der Koalition.“

Weichenstellungen nach der Europawahl

Für die künftige Arbeitsfähigkeit der grün-schwarzen Koalition stellt sich allerdings die Frage nach der Einigkeit innerhalb der CDU. Eine am Donnerstag veröffentlichte SWR-Umfrage zur Europawahl sagte für die Landes-CDU Verluste von acht Prozentpunkten im Vergleich zum Jahr 2014 voraus. Strobl müsste bei bei diesem Ergebnis mit neuen Anfechtungen rechnen.

Nach dem Wahltag, dem 26. Mai, werden bei den Christdemokraten Weichenstellungen für die Spitzenkandidatur bei der Landtagswahl 2021 erwartet. Strobl will antreten, Kultusministerin Susanne Eisenmann will auch. Erst bei der Sitzung der CDU-Landtagsfraktion am Dienstag trat Eisenmann dem harmonischen Bild, das Strobl von der Arbeit der Landesregierung, entgegen, indem sie Divergenzen mit dem vom Staatsministerium erarbeiteten Frankreich-Leitbild herausstellte. Auch Justizminister Guido Wolf, der gescheiterte Spitzenkandidat des Jahres 2016, hat nach Berichten aus der CDU noch nicht alle Hoffnung auf einen zweiten Versuch begraben. Sollte der Machtkampf in der CDU eskalieren, wird dies auch für die Landesregierung nicht folgenlos bleiben.