Der frühere Thüringer Verfassungsschutzpräsident Helmut Roewer führte ein mysteriöses Doppelleben. Heute schweigt er zu allem.  

Erfurt - Es war am 15. Juni 2000, als der damals bekannte Thüringer Rechtsextremist Thomas Dienel in einem ZDF-Politmagazin ausplauderte, verdeckt für den Thüringer Verfassungsschutz gearbeitet zu haben. 25.000 Mark kassierte er nach eigenen Angaben für rund 80 Berichte und telefonische Tipps. Doch das Spitzelsalär verjubelte er nicht, sondern ließ es in die Szene zurückfließen, etwa in rechtsextremes Werbematerial. Der Thüringer Verfassungsschutzpräsident Helmut Roewer musste daraufhin seinen Hut nehmen.

 

Doch die Schatten seines Tuns verfolgten ihn: Im Mai 2001 flog ein weiterer V-Mann des Hauses auf. Zeitungsreporter enttarnten den damaligen NPD-Landesvize Tino Brandt. Seit 1994 hatte der unter dem Decknamen "Otto" Roewers Amt zugearbeitet und hierfür stolze 200.000 Mark kassiert. Auch diese will Brandt für Neonaziaktivitäten verwendet haben - etwa zur Finanzierung des von ihm straff geführten Thüringer Heimatschutzes. Dem gehörte auch die Jenaer Gruppe um Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sowie den nun in Hannover verhafteten Holger G. an.

Den Thüringer Schlapphüten gingen die Informanten aus

All das Roewer anzulasten wäre unfair. Denn nach seiner Suspendierung kam heraus: der exzentrische Schnauzbartträger hatte Brandt selbst schon einmal abgeschaltet, da er wegen seines rechtsextremen Wirkens aus dem Ruder zu laufen schien. Doch sein später amtierender Vize reaktivierte nach Rücksprache mit dem damaligen Erfurter Innenstaatssekretär Georg Brüggen - später Staatskanzleichef in Sachsen - den NPD-Aktivisten. Den Thüringer Schlapphüten gingen damals die Informanten aus.

Auch Roewers Nachfolger Thomas Sippel traf sich noch siebenmal konspirativ mit Brandt. Sippel, der nach wie vor das Landesamt führt, räumt inzwischen ein, nicht wirklich sicher zu sein, ob die Anfang 1998 spurlos abgetauchten Serienmörder von Jena irgendwann dem Verfassungsschutz zugearbeitet haben. Man habe das überprüft, doch "letzte Zweifel nicht beseitigen" können, sagt er. Zugleich schließt Sippel nicht aus, dass Roewer V-Leute auf eigene Rechnung führte. In der Tat betrieb der ein Doppelleben. Der frühere Panzeroffizier der Bundeswehr leistete sich während seiner Erfurter Geheimdienstjahre aus Amtsgeldern ein teures Hobby: Er gründete einen Verlag und veröffentlichte dort eigene wie fremde Ergüsse zum zwielichtigen Milieu. Es wurde wegen Untreue in 48 besonders schweren Fällen gegen ihn ermittelt, teils in Tateinheit mit schwerem Betrug. Doch da Roewer 2008 als verhandlungsunfähig galt, stellte man das Verfahren ein. Heute lebt er als Schriftsteller in Weimar. Zum aktuellen Fall mag er sich nicht äußern.

Roewer bewusste Unterstützung der rechten Terrorszene zu unterstellen würde ihm nicht gerecht. Als er 1994 als Ministerialrat aus dem Bundesinnenministerium nach Erfurt kam, stolperte der intellektuell veranlagte Mann in ein Chaos. Vor und nach der Ära Roewer glich das Thüringer Landesamt einem Tollhaus. Später konnte man im Verfassungsschutzbericht lesen, dass der Geheimdienst so geheim war, dass selbst im eigenen Hause keiner mehr nachkam, wer Nazis schmierte oder wer die Presse mit Interna fütterte. Über Jahre hatte ein Geflecht aus Intrigen und Abhängigkeiten das Amt gelähmt. Überfordert wirkte auch die Parlamentarische Kontrollkommission des Landtages, die dem Geheimdienst auf die Finger schauen sollte.