Aus 20 Milliarden Mark lassen sich einfach 100 Milliarden machen – im Inflationsjahr 1923 war auch im Oberamt Leonberg das Geld nicht das Papier wert, auf das es gedruckt wurde.

Was würden Sie lieber für den Bezug Ihrer Zeitung bezahlen – zehn Eier oder drei Pfund Linsen oder lieber 20 Pfund Kartoffeln? Wer hat, kann es auch mit einem Pfund Butter tun. Dieses Szenario ist vor 100 Jahren Realität gewesen, denn Deutschland erlebte 1923 einen wirtschaftlichen Kollaps von nie davor bekannten Ausmaßen – eine Hyperinflation.

 

Das Vertrauen in den Staat ist dahin

Die Weimarer Republik hatte es vergeigt, die Nazis und die Kommunisten setzten noch eins drauf. Denn sowohl der Hitler-Ludendorff-Putsch am 8. und 9. November in München als auch davor der Hamburger Aufstand, eine von Teilen der Kommunistischen Partei Deutschlands am 23. Oktober begonnene Revolte, um einen Umsturz in Deutschland nach dem Vorbild der russischen Oktoberrevolution von 1917 einzuleiten, gingen in die Hose. Das Vertrauen in den Staat war dahin.

Bereits in den ersten Jahren nach dem Krieg zeichnete sich auch in Leonberg und Umgebung der Beginn einer Inflation ab. Aber wer über Gärten, Äcker und sonstige Flurstücke verfügte, war über die Selbstversorgung partiell bessergestellt und verfügte über Naturalien, die Tauschgeschäfte erleichterten. Niemand hatte mehr Vertrauen in das Geld. So tauscht man einen Ofen gegen Weizen und Gerste, eine alte Nähmaschine gegen junge Hühner oder einen Kittel mit Stiefeln gegen Stallhasen, Stiefel gegen Kartoffeln, Heu oder Stroh gegen Most und Mostobst gegen Brotgetreide. Wegen des Währungsverfalls ist sogar der Bezugspreis des „Leonberger Tagblatts“ in Naturalien zu entrichten.

Staat kann seine Rechnungen nicht mehr zahlen

Die Finanzierung des Ersten Weltkriegs hatte das Kaiserreich etwa 164 Milliarden Mark gekostet (die am 15. November 1923 noch einen Wert von 16,4 Pfennig hatten). Aufgebracht hatten das Geld die Bürger, indem Kriegsanleihen gezeichnet wurden mit einem Zinssatz von fünf Prozent. Die langfristigen Anleihen des Deutschen Reichs waren bis 1. Oktober 1924 unkündbar – in der Hoffnung auf einen Sieg. Diese Summe musste nach Kriegsende von der jungen Weimarer Republik erstens weiter verzinst und zweitens getilgt werden. Weiteres Geld war für die Versorgung der Kriegswitwen und ihrer Kinder, der Kriegsversehrten, der Flüchtlinge, der Arbeitslosen und der entlassenen Soldaten.

Verstärkt wurden die Probleme durch die Umstellung der Kriegs- in eine Friedenswirtschaft, die Reparationszahlungen, die aufgrund des Vertrags von Versailles weggefallenen Industriegebiete und Rohstoffvorkommen, den Wegfall traditioneller Exportgebiete und die enormen Schäden in der Infrastruktur. Das Steueraufkommen deckte lediglich 14 Prozent der Ausgaben des Reiches. Aufgrund angeblich ausstehender Reparationsverpflichtungen besetzten belgische und französische Truppen am 11. Januar 1923 das Ruhrgebiet. Dessen Kohle, der Stahl und die Industriegüter standen der Wirtschaft des Reichs nicht mehr zur Verfügung. Als die deutsche Reichsregierung zum passiven Widerstand aufrief, wurden nicht nur alle Reparationslieferungen, sondern auch alle Arbeiten im Ruhrgebiet eingestellt.

Leonberger Druckerei druckt neue Geldscheine

Die Lösung: Diese Einkommensausfälle von 60 Millionen Goldmark täglich wurden durch die immer schneller laufenden Notenpressen finanziert. Am 26. September 1923 musste der passive Widerstand wegen der sich abzeichnenden Wirtschaftskatastrophe erfolglos abgebrochen werden. Doch die Hyperinflation war nicht mehr aufzuhalten. Etwa 30 Papierfabriken stellten in Deutschland das Geld her.

Foto: arno

Wegen der rasanten Geldentwertung kam es zu einer Zahlungsmittelknappheit und das Oberamt Leonberg war nicht mehr in der Lage, das notwendige Geld für die Gehälter und die Arbeitslosen- und Sozialunterstützung aufzubringen. Auch die Oberamtssparkasse hatte kein Geld, da von der Reichsbank nichts mehr zu bekommen war. In dieser bizarren Situation wird die Druckerei Reichert in Leonberg Mitte September 1923 beauftragt, Geld zu drucken: 20 000 Scheine zu fünf Milliarden und 20 000 Scheine zu 20 Milliarden Mark. Die Liquidität ist kurz wiederhergestellt, doch gedeckt ist dieses Geld nicht, denn es ist nicht mal das Papier wert, auf das es meist einseitig, um zu sparen, gedruckt wird. Mit einem einfachen Stempel werden aus 20 Milliarden einfach 100 Milliarden.

Für die Versorgung Bedürftiger hat die Stadt Leonberg immer wieder Kartoffeln besorgt. Schon im Februar 1921 hatte der Gemeinderat beschlossen, den stadteigenen Kartoffelvorrat von über 400 Zentnern unter dem Selbstkostenpreis von 32 Mark, für 28 Mark pro Zentner, abzugeben. Bereits 1920 war Gefrierfleisch aufgekauft worden, das in Esslingen lagerte. Das wurde für neun Mark pro Pfund in der Freibank verkauft. Zur gleichen Zeit kostete ein Pfund frisches Rindfleisch 13,25 Mark beim Metzger. Mitte Februar 1921 senkte der Gemeinderat den Preis für das Gefrierfleisch auf acht, später sogar auf sechs Mark pro Pfund. Doch die Leonberger mochten es nicht, und so wurde es für 6,50 pro Pfund nach Köln verkauft.

Der Zentner Kartoffeln kostet bis zu 230 Milliarden Mark

Die allgemeine Versorgungslage verschärfte sich weiter und damit auch die Zahl der Bedürftigen. Im September 1923 bezog die Stadtverwaltung bereits 2000 Doppelzentner Kartoffeln aus dem Oberschwäbischen, wofür eine Anzahlung von fünf Milliarden Mark zu leisten war. Pro Zentner musste Anfang September 1923 zwischen 12 und 15 Millionen Mark bezahlt werden. Bis Anfang November waren 5000 Zentner Kartoffeln eingetroffen. Die Preise bewegten sich bereits zwischen 14 und 230 Milliarden Mark pro Zentner. Damit die Stadt diese Kartoffeln in Voraus bezahlen konnte, hatte sie einen Reichsbankkredit von rund 350 Billionen Mark aufgenommen. Am 6. November 1923 setzte der Gemeinderat den Abgabepreis von 60 Milliarden Mark pro Zentner fest.

Die Versorgungslage mit Milch, Fleisch, Getreide und Mehl war nicht weniger angespannt. Im Leonberger Rathaus wurde eine Wärmestube eingerichtet, und im Krankenhaus gab es eine kostenlose Suppe für Alte und Arbeitsunfähige. Im Stadtwald durfte Holz aufgelesen werden. In Eltingen wird für die Schulspeisung hungrig gebliebener Kinder gesammelt.

Die Arbeitslosenzahlen gingen drastisch in die Höhe. Im April wurden in Leonberg 16 Vollerwerbslose und 240 Kurzarbeiter gezählt, arbeiteten doch die beiden örtlichen Schuhfabriken nur noch an drei Tagen pro Woche. Erwerbslose aus der gesamten Gegend wurden für den Bau der Mahdentalstraße vom Glemseck bis zum Schattenring eingesetzt. Eltingen beschäftigte seine Arbeitslosen im Forst, beim Ausbau von Waldwegen oder im Steinbruch.

Die Mittelschicht wird nahezu ausgelöscht

Profiteure dieser Inflation waren Schuldner, Schieber, Schwarzhändler, aber auch der enorm bei seinen Bürgern verschuldete Staat sowie Sachwertbesitzer und die, die schon immer von der Hand in den Mund gelebt hatten. Die Spargelder von Generationen und die über viele Jahre zusammengekratzten Rücklagen fürs Alter waren weg. Die systemstabilisierende Mittelschicht wurde in wenigen Monaten so gut wie ausgelöscht. Aus Verzweiflung wanderten viele Menschen nach Amerika aus.

Am 16. November 1923 wurde die Inflation durch die Einführung der Rentenmark beendet. Umgetauscht wurde eine Billion Mark in eine Rentenmark, diese wurde dann am 30. August 1924 von der Reichsmark abgelöst. Ab Dezember 1923 kehrten allmählich wieder normalere Verhältnisse ein. Was blieb, war einerseits die gebeutelte Arbeiterschicht, für die der Kapitalismus weiterhin das Feindbild darstellte, und der verarmte und radikalisierungsbereite Mittelstand. Beides wird sich in den Landtags- und Reichstagswahlergebnissen des Kreises Leonberg bis 1933 widerspiegeln. Auch hier war der Boden für Hitlers Machtergreifung vorbereitet.