Von der Bundeskanzlerin bis zum CDU-Stadtrat – die Forderung nach einer schnellen und erfolgreichen Integration von Zigtausenden Flüchtlingen in den aufnahmewilligen Arbeitsmarkt ist in aller Munde.

Stuttgart - Von der Bundeskanzlerin bis zum CDU-Stadtrat – die Forderung nach einer schnellen und erfolgreichen Integration von Zigtausenden Flüchtlingen in den aufnahmewilligen Arbeitsmarkt ist in aller Munde. Alexander Kotz, Chef der Stuttgarter CDU-Ratsfraktion und als Kreishandwerksmeister nah dran an einem Arbeitsmarkt, dem es generell an Auszubildenden und Fachkräften mangelt, versucht nun mit einem Antrag, die Stadtverwaltung für dieses Thema zu begeistern. Sie soll organisieren, das von allen Asylbewerbern Schulabschlüsse, Kenntnisse und etwaige berufliche Qualifikationen abgefragt werden, und prüfen, in welchen ihrer Eigenbetriebe wie Klinikum oder Straßenbahnen AG sie Flüchtlingen Praktika anbieten könnte.

 

Die Kommune wird auch aufgefordert, Kontakt mit den Kammern aufzunehmen, um die Interessenten auf beiden Seiten zusammenzubringen. Die Union glaubt zudem, dass die Stadt Flüchtlingen schon während ihres Asylverfahrens anbieten sollte, ehrenamtlich zu arbeiten; dies fördere die Integration. Die CDU-Fraktion wird eine ermutigende Antwort bekommen, denn vieles ist längst auf den Weg gebracht. So gibt es zahlreiche Beispiele eifrigen Bemühens der örtlichen Automobil- und Zulieferindustrie.

Der Leiter des Sozialamts, Stefan Spatz, berichtet von etwa 300 auf ihren Bescheid wartenden Asylbewerbern, die bereits eine kommunale Arbeitsgelegenheit wahrnehmen. Sie assistieren als „Ein-Euro-Jobber“ – tatsächlich beträgt die Aufwandsentschädigung für maximal 100 Stunden pro Monat 1,05 Euro pro Stunde – den Leitern von Flüchtlingsunterkünften. Die Flüchtlinge reinigen die sanitären Anlagen und kümmern sich rund um die Gebäude um die Sauberkeit. Auf dem Gelände des Bürgerhospitals wurde das schon zu Zeiten vorgenommen, als dort noch Patienten untergebracht waren. „Das läuft gut“, sagt Spatz. So gut, dass auch freie Träger Arbeitsgelegenheiten bieten; derzeit seien es 31. „Wir wollen das aber verstärken“, so der Amtsleiter, der das Thema in dieser Woche im Lenkungskreis einbringen wird.

50 Ärzte unter den Stuttgarter Flüchtlingen

Laut Gesetz können Flüchtlinge auch zu diesen Arbeiten verpflichtet werden. Bei der Stadt ist man allerdings davon überzeugt, dass dies nicht nötig ist. „Es ist doch besser, ein paar Euro hinzuzuverdienen und einen geregelten Tagesablauf zu haben, als herumzusitzen“, meint Kotz und denkt „ausdrücklich nicht daran, dass sie Mülltonnen leeren sollen“. Er fordert einen Ausbau des Angebots. So könnten doch Posten für Schülerlotsen geschaffen werden und für die Begleitung von Senioren bei Spaziergängen.

Bei dem fürs Personal zuständigen Bürgermeister Werner Wölfle (Grüne) rennt er offene Türen ein. Für die Finanzierung von Ein-Euro-Jobs müssten in den Haushaltsberatungen allerdings die Mittel beschlossen werden. Wölfle will, dass in Pflegeheimen und Krankenhäusern qualifizierte Flüchtlinge durch Praktika ins Gesundheitssystem integriert werden. Erfahrene Ärzte und Pfleger sollen Patenschaften übernehmen. Unter den Flüchtlingen in Stuttgart befänden sich rund 50 Ärzte, die sich beim Klinikum gemeldet hätten. Diese Ressource müsse rasch genutzt werden.

Die Vorrangprüfung entfällt nach 15 Monaten

Schnell geht im Asylbereich aber gar nichts. Die frühzeitige Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt und das Bildungssystem bleibt eine Herausforderung, etwa im Vergleich zur Schaffung einfacher Arbeitsgelegenheiten. Lange war es politisch opportun, den Arbeitsmarktzugang durch lange und unproduktive Wartezeiten für Asylbewerber und Geduldete zu erschweren.

Mittlerweile wurde das Beschäftigungsverbot auf drei Monate verkürzt. Die individuelle Vorrangprüfung entfällt mittlerweile nach 15 Monaten. Dabei wird festgestellt, ob ein Asylbewerber einem Deutschen, einem EU-Bürger oder einem anerkannten Zuwanderer mit Aufenthaltserlaubnis die Arbeitsstelle streitig machen könnte. Längst gibt es Forderungen, diese Regelung wegen der Vielzahl freier Stellen und der Notsituation in Bereichen wie der Lebensmittelerzeugung und des -verkaufs sowie der Pflege und auch der Gastronomie zu streichen.

Die Prüfung gilt schon heute nicht mehr für hochqualifizierte Flüchtlinge in Mangelberufen wie Naturwissenschaften, Informatik sowie Allgemeinmedizin. Sie dürfen nach einem Vierteljahr bestimmte Praktika beginnen und „eine ihrem Abschluss entsprechende“ Beschäftigung aufnehmen. Das gilt auch für Personen mit einer Duldung. Flüchtlinge mit einem Aufenthaltstitel dürfen dagegen alle Arten von Beschäftigung aufnehmen und benötigen auch keine Zustimmung der Agentur für Arbeit.

Eine wichtige Rolle spielt die Arbeitsagentur

Wenn CDU-Chef Kotz fordert, Flüchtlinge in Praktika zu bringen, dann muss auch er einsehen, dass vor Ablauf eines Vierteljahres nichts passiert. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer für Flüchtlinge in einer Erstaufnahmestelle beträgt derzeit fünf Wochen. Danach stellt sich die Frage, wer private oder gemeinnützige Arbeitgeber mit den Interessenten zusammenbringt.

Das Land verweist auf die Kommunen, die „über eingespielte Netzwerke mit weiteren erfahrenen Akteuren“ verfügten. Auch das soll im Flüchtlings-Arbeitskreis thematisiert werden. Eine wichtige Rolle spielt die Arbeitsagentur, die sich auf eine wachsende Nachfrage einstellen muss. Zwei Stellen wurden deshalb genehmigt. Künftig werden die Migrationsberater enger mit den Sozialarbeitern kooperieren, um Flüchtlinge zu vermitteln.

Mitarbeiter des Integrationsministeriums würden künftig in den Erstaufnahmestellen Flüchtlinge beraten und sie zu ihren Neigungen und Fähigkeiten befragen, sagt ein Sprecher. Wer übersehen wird, soll bei der Anschlussunterbringung in den Kommunen einen Fragebogen erhalten, den Sozialamtsleiter Spatz in Kooperation mit anderen „Schnittstellen“ – Arbeitsagentur, Flüchtlingskreise, IHK und Handwerkskammer – erstellen will.

Ein Hemmnis sind die fehlenden Sprachkenntnisse. Sie seien der entscheidende Engpass, stellt das Integrationsministerium fest und bietet den Kommunen an, Anträge „zur Förderung des Spracherwerbs“ zu stellen. Allerdings dürften bald die Deutschlehrer knapp werden.