Der Vorsitzende der Piraten, Sebastian Nerz, räumt im Gespräch mit der Stuttgarter Zeitung Fehler seiner Partei im Umgang mit dem Thema Rechtsextremismus ein.

Stuttgart - Rüde geht es oft zu bei den Piraten. Das sieht auch der Vorsitzende Nerz so. Viele Spitzenleute seien aktuell überfordert und machten deshalb Fehler.

 

Herr Nerz, wie viel dürfen Sie uns in diesem Interview sagen?
Das ist nicht so sehr eine Frage des Dürfens als des Wollens. Wir haben zwar die Regel, dass ein Piraten-Vorstand keine programmatischen Aussagen trifft, die noch nicht im Programm beschlossen sind. Aber ansonsten ist das meine Entscheidung.

Macht das ein Chefamt zur Qual, wenn man so unfrei in seinen Äußerungen ist?
Nein, ich verstehe mich primär als Organisator und Moderator der Partei. Ich habe keine Richtlinienkompetenz wie Vorsitzende anderer Parteien – und will sie auch nicht.

Sie mussten gleichwohl wegen Äußerungen, die nicht durch Parteibeschlüsse gedeckt waren, manchen Shitstorm über sich ergehen lassen. Warum wollen Sie erneut als Vorsitzender kandidieren – sind das auch masochistische Bedürfnisse?
Man sieht öffentlich nur das negative Feedback. Die positiven Reaktionen, und von denen gibt es viele, sieht man nicht. Ich habe den Eindruck, dass ich mit dem Amt etwas erreichen kann – der Partei den Rücken freihalten, damit sie arbeiten kann, zwischen unterschiedlichen Gruppen vermitteln, Frieden stiften.

In den Internetforen giften sich die Piraten teilweise heftig an. Warum haben so viele Ihrer Mitglieder so schlechte Manieren?
Ich glaube nicht, dass es eine Frage guter oder schlechter Manieren ist. Die Piraten, die ich treffe, sind fast alle umgängliche Menschen. Aber eine Textkommunikation in Mails und Tweets verleitet zu schnellen, emotionalen Formulierungen. Das sorgt zum Teil für einen rüden Ton. Das ist an Stammtischen oder in Audiokonferenzen dann schon ganz anders.

Mehrere Führungsleute haben in letzter Zeit ihren Rückzug erklärt, weil sie nicht nur der Arbeitsbelastung, sondern auch dem emotionalen Druck innerhalb der Partei nicht mehr standhalten. Müssen Sie an Ihrer demokratischen Kultur noch arbeiten?
Ja, müssen wir unbedingt. Da hat sich in letzter Zeit auch schon viel getan. Aber der emotionale Druck für die Piraten, die stark in der Öffentlichkeit sind, entsteht nicht nur aus der Partei heraus. Sie sind einem riesigen Arbeits- und Zeitdruck ausgesetzt, der keine Pause erlaubt – und zu Fehlern führt.

In den letzten Tagen sind einige Piraten ins Stolpern geraten, weil sie sich fahrlässig bis dumm zum Thema Rechtsextremismus eingelassen haben. Sind die Piraten auf dem rechten Auge blind?
Definitiv Nein. Sind wir unerfahren? Ja. Es gibt viele Piraten, die sich nicht bewusstmachen, wie wichtig und gleichzeitig emotional das Thema ist. Das ist kein Thema, über das man blöde Witze macht. Wir haben als Partei zu lange diskutiert, wo die Grenzen der Meinungsfreiheit im Bereich Rechtsextremismus sein müssen. Dadurch entstand der Eindruck, dass wir rechtsextreme Äußerungen selbst hinnehmen. Aber die Partei hat ein klares Bekenntnis gegen Rechtsextremismus. Wir haben Unvereinbarkeitsbeschlüsse auf allen Parteiebenen, wir haben klare Bekenntnisse zur Würde des Menschen.

Ihr Berliner Parteichef Hartmut Semken hält nichts von einer allzu deutlichen Abgrenzung von rechtslastigen Piraten. Kann so jemand weiter für die Partei sprechen?
Es ist unstrittig auch für Semken, dass jemand, der den Holocaust leugnet, der die Kriegsschuld relativiert oder rechtsextremes Gedankengut verbreitet, keinen Platz in der Partei hat. Die Frage ist dann auf der Metaebene: Wie geht man damit um, wenn jemand sagt, dass man solche Meinungsäußerungen tolerieren muss?

Wo ist da für Sie die Grenze?
Wenn es diskriminierend wirkt gegen andere Menschen. Kein Mensch hat das Recht, andere herabzusetzen, weil sie eine andere Abstammung, eine andere Religion haben. Und ob Hartmut Semken noch Vorsitzender in Berlin bleiben kann, darüber entscheidet alleine der Landesverband.