Völlig überraschend übergibt das Ludwigsburger Amtsgericht die Zuständigkeit für den Fall nach Polen. Thomas Karzelek hat nun kaum noch Hoffnung, seine entführte Tochter jemals zurück zu bekommen – und macht den deutschen Behörden massive Vorwürfe.

Nachrichtenzentrale: Tim Höhn (tim)

Ludwigsburg/Ditzingen - Hatte Laras Mutter alles von Anfang an genau so geplant? Wusste die polnische Juristin am 2. Oktober 2014, an dem Tag, als sie ihre Tochter Lara in Ditzingen entführte, dass es so ausgehen würde? Unter Einsatz von Pfefferspray, unterstützt von einem Komplizen, riss sie das fünfjährige Kind damals gewaltsam an sich und verschwand. Jetzt, drei Jahre später, lebt Joanna S. mit ihrer Tochter in Stettin und scheint am Ziel zu sein. Musste die 38-Jährige bislang fürchten, dass sie Lara wieder verliert, deutet nun vieles darauf hin, dass sich die Anwendung von Gewalt gelohnt haben könnte, und zwar dauerhaft.

 

Das Ludwigsburger Amtsgericht hat am Montag mehrere wegweisende Beschlüsse gefasst, und alle schwächen die Position von Thomas Karzelek, dem deutschen Vater von Lara. „Ich bin am Boden zerstört“, sagt der 46-Jährige. Das Signal, dass die Richter an Eltern aus binationalen Ehen aussenden, sei eindeutig: „Wenn es Streit gibt, entführt eure Kinder – der deutsche Staat wird dagegen nichts unternehmen.“

Besonders hart getroffen hat Karzelek die Entscheidung, die Zuständigkeit für den Fall nach Polen abzugeben. Vor einigen Wochen hatte ein Amtsgericht in Stettin dies beantragt, und völlig überraschend gaben die deutschen Richter dem nun statt. Die Begründung: Für alle weiteren Entscheidungen in diesem Fall bedürfe es eines „polnischen Gerichts am tatsächlichen Aufenthaltsort des Kindes“. Nur dort bestehe „die Möglichkeit des flexiblen und kurzfristigen Zugangs zum Kind“.

Der Vater hat das alleinige Sorgerecht – aber das hilft ihm nicht

Weil Lara in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, waren bislang stets deutsche Richter für den Fall zuständig. Das Ludwigsburger Amtsgericht war es auch, dass dem Vater einst das alleinige Sorgerecht für Lara zugesprochen hat – nach einem ersten, erfolglosen Entführungsversuch der Mutter. Doch der zweite Versuch im Oktober 2014 glückte. Zwar kam Joanna S. deswegen ins Gefängnis, aber während sie ihre Strafe absaß, ließ sie Lara von Angehörigen verstecken. Erst Ende April dieses Jahres entdeckte die polnische Polizei den Aufenthaltsort in Niederschlesien. Doch statt das Kind zurück an den Vater zu übergeben, händigten die polnischen Behörden Lara der Mutter aus.

Mit dem Wechsel der Zuständigkeit sieht Karzelek alle Chancen schwinden. Die polnischen Richter, Staatsanwälte und Polizisten hätten immer auf der Seite ihrer Landsfrau gestanden – „die werden Lara nie herausgeben“. Seine Hoffnungen setzte der Vater daher zuletzt allein in das Ludwigsburger Gericht. Dort hatte er unlängst beantragt, dass Lara der Mutter entzogen werden muss, um zumindest vorübergehend in einem Heim psychologisch betreut werden zu können. Damit wollte er erreichen, dass das Mädchen aus dem – seiner Meinung nach – schädlichen Einflussbereich der Mutter befreit wird.

Doch das Gericht hat auch in dieser Frage anders entschieden. Nachdem Lara im Mai gefunden worden war, gab es in Polen Versuche, das Kind an Karzelek zu übergeben. Weil Lara dabei aber weinte, wurden diese stets mit Verweis auf das Wohl des Kindes abgebrochen. Für Karzelek ein abgekartetes Spiel: „Es ist ja kein Wunder, dass ein Kind weint, wenn man ihm eintrichtert, dass etwas Schlimmes passiert.“ Die Polen hätten Lara eingeredet, sie werde ihre Mutter nie mehr wieder sehen, wenn sie mit nach Deutschland gehe. „Dabei habe ich immer betont, dass ich der Mutter ein Umgangsrecht einräumen möchte – ganz egal, was vorgefallen ist. Ein Kind braucht Mutter und Vater.“

Das Kind bleibt bei der Mutter – und damit bei der Entführerin

Das Ludwigsburger Gericht stützt seine Entscheidung auf ebenjene Übergaben. Die Versuche seien „jeweils aufgrund der Verweigerung durch das Kind“ gescheitert, heißt es in der Begründung, und weitere seien Lara „nicht mehr zuzumuten“. Juristisch ist das nachvollziehbar, denn im aktuellen Stadium geht es allein um das Kindeswohl. Alle Gerichte, ob in Ludwigsburg oder Polen, müssen ihre Beschlüsse danach ausrichten, ob sie Lara schaden oder helfen. Dass dieser Zustand eingetreten ist, weil die Mutter kriminell handelte, spielt dabei keine Rolle. „Ein Kind ist kein Gegenstand“, erklärt der Gerichtssprecher Ulf Hiestermann. „Wenn ein Gegenstand gestohlen wird, besteht ein Anspruch auf Herausgabe. Bei einem Kind ist das anders.“ Das ist der Grund, warum Lara der Mutter nicht weggenommen wird – denn das könnte schädlich sein.

Es ist gut möglich, dass in Polen auch neu über das Sorgerecht verhandelt wird und dieses vom Vater an die Mutter übergeht – wenn die dortigen Richter überzeugt sind, dass dies das Beste für Lara ist. Auch über das Umgangsrecht der Eltern müssen die Polen entscheiden. Theoretisch ist immer noch denkbar, dass Lara zurück nach Deutschland kommt. Den Antrag auf Herausgabe seiner Tochter wird Karzelek auch in Polen aufrechterhalten und zudem in Deutschland nach dem letzten Strohhalm greifen, der ihm bleibt. Er wird Beschwerde gegen den Wechsel der Zuständigkeit einlegen. Das letzte Wort hat dann das Oberlandesgericht. Dass das noch etwas ändert, glaubt Karzelek indes nicht. „Heute ist der erste Tag, an dem ich keine Hoffnung mehr habe.“