In einer mehrstündigen Aussprache prallen die Meinungen der Ratsmehrheit und der Verwaltung aufeinander.

Stuttgart - Der Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) hat den vernichtenden Bericht des Akteneinsichtsausschusses zum Klinikum-Skandal in der Vollversammlung mit schweren Vorwürfen gekontert. Auf massiven Druck der überwiegenden Mehrheit des Gemeinderats räumte er aber erstmals auch eigene Fehler ein und überraschte damit seine Parteifreunde, die das Verhalten der Verwaltung nach dem Studium der Akten für in Ordnung befunden haben und dafür von allen Fraktionen scharf attackiert wurden.

 

Der erste Zwischenbericht zu den Umständen der umstrittenen Auflösungsvereinbarung mit dem ehemaligen Geschäftsführer Ralf-Michael Schmitz im März 2016 anstatt einer fristlosen Kündigung lese sich „wie eine Anklageschrift“, so Kuhn. Er vermisse eine Abwägung. Er wies jegliche Täuschungs- und Unterschlagungsabsicht im Zusammenhang mit dem „goldenen Handschlag“ für Schmitz zurück.

Kuhn hat ein Grundvertrauen in seine Bürgermeister

Aus heutiger Sicht sei vieles klarer. Kuhn machte keinen Hehl daraus, dass er mit diversen Entscheidungen des damaligen Krankenhausbürgermeisters und Parteifreundes Werner Wölfle im Zusammenhang mit der Arbeit der Abteilung für arabische Patienten unzufrieden gewesen sei. Er habe aber darauf vertraut, dass der Kollege alles im Griff habe.

Am Ende seiner Rede räumte Kuhn erstmals Fehler ein. Er hätte mit dem Gemeinderat anders kommunizieren und ihn in die Abwägung über die Modalitäten der Trennung von Schmitz einbeziehen müssen. Die damalige Bitte der Staatsanwaltschaft, den für Schmitz verheerenden Bericht des Rechnungsprüfungsamts Ende 2015 nicht weiterzugeben, habe ihn zu sehr beeindruckt: „Dafür entschuldige ich mich. Es tut mir wirklich leid“, sagte der OB. Allerdings hat die Staatsanwaltschaft gegenüber unserer Zeitung schon vor längerer Zeit deutlich gemacht, dass sie die Information des Gemeinderats nie untersagt habe.

95 Stunden Akten gewälzt

Der Akteneinsichtsausschuss tagte in neun Sitzungen 34 Stunden lang. Es gab zudem 32 Lesetermine, die 95 Stunden in Anspruch nahmen. Der Vorsitzende Klaus Nopper (CDU) sprach von einer Einmütigkeit im Ausschuss, die er im Gemeinderat selten erlebt habe. Davon nahm er allerdings ausdrücklich die „Verfasser des Sondervotums“ aus – die Grünen Andreas Winter und Silvia Fischer. Formulierungen wie „erhebliche Versäumnisse“, „nicht voll umfängliche sowie falsche Information“ über die Vorgänge zur Trennung Schmitz finden sich bei ihnen nicht.

Stattdessen wird dem Vorwurf der Ausschussmehrheit widersprochen, die Stadt habe die für eine fristlose Kündigung entscheidende Zwei-Wochen-Frist Ende 2015 nach Erhalt des Prüfberichts nicht versäumen können, weil sie schon Monate zuvor abgelaufen gewesen sei. Auch die Stadtdirektorin Andrea Klett-Einiger fand Argumente, die der Ausschussmehrheit widersprechen.

Stadt hat Geschäftsführer mit Kündigung gedroht

Für sie ist ein wichtiger Beleg eine deutliche Stellungnahme der Kanzlei Menold Bezler. Fritz Kuhn behauptete am Donnerstag, es habe sich lediglich um einen Entwurf gehandelt, Klett-Einiger betonte, die Verwaltung habe diese Ansicht nicht geteilt, und unabhängig davon, ob die Frist bereits verstrichen gewesen sei oder nicht, habe man Schmitz mit Kündigung gedroht. Dass er sich letztlich zur Auflösungsvereinbarung bereit erklärte, sei logisch gewesen, machte SPD-Fraktionschef Martin Körner deutlich. „Wenn ihnen einer sagt, sie können mit 55 Jahren bei vollem Rentenanspruch sofort in den Ruhestand gehen – wer würde da nicht unterschreiben?“

Der CDU-Ausschusssprecher Philipp Hill bezeichnete die Vorwürfe Kuhns als „absurd“. Er halte jetzt einen externen Schlichter für notwendig. Martin Körner würdigte Kuhns Entschuldigung, kritisierte aber die Herabwürdigung des Ausschusses. Kuhn verabschiede sich von demokratischen Grundprinzipien.

Thomas Adler (SÖS/Linke-plus) erinnerte daran, dass Wölfle 2015 erst dubiose Geschäfte von sich gewiesen und kurz darauf strafbare Handlungen festgestellt habe. Heinrich Fiechtner (BZS 23), der mit seinem Antrag die Staatsanwaltschaft veranlasste, gegen Wölfle zu ermitteln, meinte: „Für den OB wird es immer enger.“ Auch gegen ihn und Ex-Bürgermeister Michael Föll (CDU) müsse ermittelt werden. Auch die Redner der übrigen Fraktionen beklagten einen enormen Vertrauensverlust.