Wer reisen will, braucht einen Pass. Doch den zu bekommen, ist in der Landeshauptstadt eine echte Herausforderung. Ein Erfahrungsbericht.

Stadtleben und Stadtkultur : Alexandra Kratz (atz)

Meine große Tochter will die Welt entdecken. Ich kann das verstehen, als junger Mensch bin ich selbst viel gereist. Doch wer andere Länder besuchen will, braucht in aller Regel einen Pass. Und einen solchen zu beantragen, ist in Stuttgart aktuell ein größeres Abenteuer als eine Asienreise.

Natürlich war ich vorgewarnt, natürlich wusste ich um die langen Schlangen vor den Stuttgarter Bürgerbüros. Also machten meine Tochter und ich uns an einem der letzten Sommerferientage auf den Weg. Punkt 7 Uhr verließen wir das Haus – mit allen Unterlagen, die ich zur Identität meines Kindes finden konnten, einer Picknickdecke, einer Thermosflasche mit Tee, zwei Stück Kuchen und einem Kartenspiel. Wir waren vor 7.30 Uhr am Bürgerbüro in Möhringen – dieses öffnete um 8.30 Uhr – und sicherten uns Position sieben in der Warteschlange. Ganz vorne saß eine junge Frau. Sie hatte einen kleinen Klappstuhl und ein dickes Buch dabei. Ich fragte sie, seit wann sie schon da sei. Antwort: kurz vor 7 Uhr.

Die Picknickdecke wird zum Regenschutz

Mit Position sieben waren meine Tochter und ich nicht unzufrieden. Es hätte sogar ein ganz netter Morgen werden können. Aber natürlich – und das ist kein Witz – musste es anfangen zu regnen. Und zwar nicht nur ein bisschen, sondern so richtig. Meine Wetter-App hatte davon nichts gewusst, die der anderen Wartenden offensichtlich schon, zumindest hatten sie im Gegensatz zu uns Schirme dabei. Wir hatten unsere Picknickdecke, die wir nun mit der beschichteten Seite nach außen um uns wickelten. Hatten wir übrigens schon einmal bei einem unserer zahllosen Urlaube im Allgäu erprobt, als uns auf dem Rückweg vom Badesee ein kräftiger Schauer erwischte.

Nach 30 Minuten hatte sich der Regen wieder verzogen, an ein Picknick war aber nicht mehr zu denken, alles war klatschnass. Also stehen, warten und ein wenig trocknen. Was uns aufmunterte, waren die immer neuen Leidensgenossen, die – noch immer gut 30 Minuten vor Öffnung des Bürgerbüros – regelmäßig um die Ecke bogen, dann mit immer banger werdendem Blick mit den Augen das Ende der Schlange suchten, während ihnen die Kinnlade bis zu den Schuhen herunterklappte. Manche drehten völlig entnervt gleich wieder ab, denn die Reihe der Wartenden reichte inzwischen einmal um den gesamten Vorplatz.

Ein Security-Mitarbeiter händigt Wartemarken aus

Etwa 15 Minuten vor Öffnung des Bürgerbüros kam Bewegung in die Sache. Ein Security-Mitarbeiter trat vor die Tür – sehr zur Freude all derer, die „nur“ etwas abholen mussten. Denn diese bekamen jetzt ihre Extra-Warteschlange, die lediglich aus einer Handvoll Personen bestand. Die anderen bekamen Wartemarken ausgehändigt. Die zieht man nämlich nicht mehr selbst per Knopfdruck aus dem kleinen grauen Kasten, zumindest nicht in Möhringen, würde wahrscheinlich auch zu Mord und Totschlag vor dem Automaten führen. Die ersten zehn durften nun ins Trockene, für mehr reichte der Warteraum nicht aus. Kaum zu glauben, dass es Zeiten gegeben haben soll, in denen der Warteraum groß genug war.

Klar hatte ich mich im Vorfeld umgehört, ob es in Sachen Stuttgarter Bürgerbüros Geheimtipps gibt. Gibt es, aber die sind in Wangen oder Obertürkheim und damit am anderen Ende von Stuttgart. Da wären wir am Ende auch nicht schneller gewesen. In manchen Bürgerbüros kann man Termine buchen, zum Beispiel in Vaihingen. Nur dass diese Termine so gut wie nicht zu bekommen sind.

Als wir den Pass für meine Tochter beantragt hatten, fragte mich die nette Dame am Schalter, wo wir den denn in etwa vier Wochen abholen wollen. „Können Sie mir den nicht einfach zuschicken?“, versuchte ich es wider besseren Wissens. Natürlich nicht, also werde ich den Pass in Möhringen abholen – immerhin kann ich das allein, ohne meine Tochter – und wieder Schlange stehen und hoffen, dass es dann auch an jenem Tag einen Abholschalter gibt. Den richtet das Bürgerbüro nämlich nur ein, wenn „genügend Personal“ da ist, hat die Security mir auf Nachfrage verraten. „Genügend Personal“ – angesichts der zweieinhalb Stunden, die meine Tochter und ich vor und im Bürgerbüro verbrachten, klang das wie blanker Hohn.

>> Keinen Familien-Newsletter mehr verpassen – hier geht es zur Anmeldung

Alexandra Kratz hat zwei Töchter, die sich der Pubertät annähern beziehungsweise diese bereits ausleben. Allzu oft erkennt sie sich dabei selbst in ihren eigenen Kindern wieder.