Es darf wegen der „Geschlechtergerechtigkeit“ keine Eingriffe in die Sprache geben , schreibt unser Autor.

Stuttgart - Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Staatssekretär Christian Hirte (CDU), wandte sich neulich gegen die „übertriebenen“ Forderungen einer von niemandem legitimierten „Sprachpolizei“. Hirte kritisierte: „Mit welcher Leidenschaft in akademischen Sphären über das Binnen-I oder Wörter in Kinderbüchern diskutiert wird, versteht im Osten kaum jemand. Diese Form der politischen Korrektheit gab es dort nicht, und sie gibt es auch heute kaum.“ Als Westler muss ich sagen, dass es mir ebenfalls auf die Nerven geht, wenn ich auf der Homepage des Jüdischen Museums Berlin (einer Bundesstiftung) lese: „Mit Virtual-Reality-Brillen können die Zuschauer*innen die Ambivalenz und Intensität der Stadt an der Seite eines Stand-up Comedians am Zionsplatz erleben.“ Ich halte nichts von der Anrede „Liebe alle“ und beharre darauf, dass ein Flüchtling den Schutz der Genfer Flüchtlingskonvention genießt, nicht jedoch ein Geflüchteter, der einer elitären Debatte von SprachpolizistI*¬¬_nnen entfleuchte. Für die Auswahl eines Restaurants bleibt mir wichtig, dass dort ein ausgebildeter Koch oder eine Köchin tätig ist, kein irgendwie Kochender.

 

Es handelt sich sich um ein Ost-West-Problem

Staatssekretär Hirte hat Recht. Die unter dem Stichwort „Geschlechtergerechtigkeit“ vorgenommenen Eingriffe in Grammatik und fein abgestimmte Bedeutungen einzelner Wörter sind zurückzuweisen. Doch handelt es sich nicht um ein Ost-West-Problem. Da wäre zunächst die Leiterin der Duden-Redaktion, Frau Dr. Kathrin Kunkel-Razum. Sie wurde 1986 mit einer sehr dünnen, ungedruckten Arbeit in Leipzig promoviert. Sie erklärte zu den Formen „Lehrer_innen oder Lehrer*innen“: „Wir gehen davon aus, dass diese Schreibungen in offiziellen Kontexten zunehmen werden.“ Frau Kunkel-Razum macht sich schon Gedanken über ein drittes Personalpronomen neben „sie“ und „er“ – nämlich „sir“. Nicht zuletzt auf ihr Betreiben steht das Thema „Geschlechtergerechte Schreibung“ am 8. Juni auf der Tagesordnung, wenn der Rat für deutsche Rechtschreibung in Wien zusammentritt. (Dieses Treffen verdient Beachtung!)

Der Senat beschäftigt sich mit Luxusfragen

Damit reagiert der Rat auf eine Anfrage, die der rot-rot-grüne Berliner Senat lanciert hat. Dieser ist zwar unfähig, auch nur eines seiner politischen Versprechen einzulösen (Fahrradgesetz, Kitaplätze, Wohnungsbau, Flughafen, Bürgerämter), nimmt sich jedoch für Fragen des sachgerechten Genderns alle Zeit der Welt. Dieser Senat beschäftigt sich eben lieber mit den Luxusfragen privilegierter Kleingruppen als mit den Problemen, unter denen die Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner täglich leidet. Anders aber als Christian Hirte vermutet, ist daran Die Linke als Koalitionspartnerin beteiligt: Ihre gewählten Ostler und Ostlerinnen machen den sprachpolizeilichen Zirkus leidenschaftlich gerne mit. Man muss also sagen: Hier wächst an Selbstermächtigung, ideologischer Sprachkontrollwut in Berlin und in der Duden-Redaktion zusammen, was offenbar seit Langem der Vereinigung entgegenstrebt.

Im Übrigen stärkt die neue Sprachdiktatur die Alternative für Deutschland. Die dafür Verantwortlichen, die in Verkennung ihrer eigenen gesellschaftlichen Rolle und autoritativen Praxis besonders gerne von Partizipation schwadronieren, wissen das sehr wohl. Sie sind jedoch zu selbstbezogen, um einen langsamen Wandel sprachlicher Gepflogenheiten abzuwarten.

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Am 5. Juni schreibt an dieser Stelle unsere Kolumnistin Katja Bauer