Die Grünen sind erstmals in der Chefrolle. Das wird die Partei verändern, meint StZ-Redakteurin Barbara Thurner-Fromm.      

Stuttgarter - "Das Amt muss zum Mann kommen, nicht der Mann zum Amt." Das ist - vom früheren CDU-Ministerpräsident Erwin Teufel übernommen - Winfried Kretschmanns Motto. Darin unterscheidet er sich fundamental vom abgewählten Amtsinhaber.

 

Und weil Kretschmann eben Kretschmann ist, bleibt er auch im Moment seines Triumphes bescheiden. Er wird sich keine Sekunde der Illusion hingeben, dass die Macht ein Zuckerschlecken wird. Er weiß, dass ihm das Amt, das nun wohl zu ihm kommt, eine große Bürde auferlegt.

Denn da ist zum einen der extrem knappe Wahlausgang. Baden-Württemberg hat am Sonntag politisch gebebt und dabei ist auch der Muff von 50 Jahren abgefallen. Aber es ist ein in zwei große Blöcke gespaltenes Land, dessen Bürger sich in den vergangenen Monaten nicht nur ungewöhnlich stark demokratisch engagierten, sondern auch oft bis ins Persönliche hinein gestritten haben wie kaum je zuvor. Dabei wurden viele Wunden geschlagen. Und es wurden auch Erwartungen geweckt, die Kretschmann nie und nimmer erfüllen kann.

Energiekonzerne werden Forderungen stellen

Beispiel Energiepolitik: die Grünen haben mit ihrem Anti-Atomkurs zwar die entscheidenden Prozentpunkte an Stimmen gesammelt. Aber auch eine grün-rote Landesregierung kann nicht so mir nichts dir nichts aus der Kernenergie aussteigen. Sie muss vielmehr mit der Bundesregierung und den Atomkonzernen einen neuen Konsens suchen.

Wer sich an die zähen Verhandlungen und das politische Geschacher beim Atomausstieg der früheren rot-grünen Bundesregierung erinnert, ahnt, wie zäh dieses Vorhaben und wie hoch sein Preis werden wird. Die Stromkonzerne haben bis zur Wahl ruhig gehalten; aber sie werden ihre Forderungen stellen. Dann muss auch die Bundesregierung klarstellen, wie ernst es ihr mit der angekündigten Kehrtwende ist. Dass bei all dem ausgerechnet Grün-Rot mit der EnBW noch einen Atomklotz am Bein haben, ist der Treppenwitz dabei.

Seite 2: Bei der Atompolitik sind Grüne und SPD einig

Immerhin: Bei der Atompolitik sind Grüne und SPD einig. Schon für das hoch emotionalisierte Thema Stuttgart 21 gilt das nicht. Da ist zwar die Mehrheit der Sozialdemokraten für den Tiefbahnhof, ein Gutteil aber auch dagegen. Es wird zwar einen Stresstest geben, ob der neue Bahnhof auch hält, was er verspricht. Aber es gibt eben auch milliardenschwere Verträge, gültige Planfeststellungen und fast unüberwindliche verfassungsrechtliche Hürden für eine Volksbefragung.

Kretschmann muss die Kirche im Dorf lassen

Kretschmann tut gut daran, allzu große Hoffnungen zu dämpfen. Und zu guter Letzt haben die Grünen auch keine Gewissheit, dass die Bürger im Land das Milliardenprojekt genau so kritisch bewerten wie die in Stuttgart.

Auch bei anderen Themen wird die neue Regierung nur behutsam umsteuern können. Wenn großartige Versprechungen - mehr und bessere Kitas, zusätzliche Lehrer, gebührenfreie Hochschulen - mit ungedeckten Schecks bezahlt werden sollen, werden das die Baden-Württemberger nicht goutieren. An sparsames Wirtschaften gewohnt, verlangen sie dies auch von den Neuen. Und wer glaubt, er kann die Schulen revolutionär umbauen, fällt so hart auf die Nase wie Schwarz-Grün in Hamburg.

Kretschmann bleibt also gar nichts anderes übrig, als die Kirche im Dorf zu lassen. Das kann ihm und seiner Partei durchaus gelingen. Denn eigen wie der Dickbrett-Bohrer Kretschmann sind auch die Südwest-Grünen. Seit jeher gelten sie innerparteilich als Oberrealos - was wahrlich nicht immer ein Lob war. Sie haben die gesellschaftspolitisch modernen Ansätze der Partei - gleiche Anteile für Frauen und Männer, Offenheit für Migranten und andere gesellschaftliche Gruppen - von der Basis her gelebt; daher rührt auch ihr wachsender Erfolg. Sie lehnen zudem Persönlichkeitskult ab und setzen stark auf Teamleistung. Kretschmanns Ansage, er wolle versuchen, das Land "besonnen, mit Maß und Mitte" zu führen, passt gut dazu.