Im Bundestag sitzt eine kleine Opposition einer großen Koalition gegenüber. Deshalb ist es eine Frage des Anstands, die Rechte der Minderheit zu stärken, fordert die StZ-Redakteurin Bärbel Krauß.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin - Die Bundesrepublik Deutschland ist 65 Jahre nach ihrer Gründung eine gefestigte Demokratie. Diese ist nicht gefährdet, wenn nun vier Jahre lang eine sehr große Koalition einer sehr kleinen Opposition im Bundestag gegenübersitzt. Diese Aussage würde sogar dann gelten, wenn an den Minderheitsrechten – anders als geplant – nichts geändert würde: Wenn also die Redezeiten der Opposition im Parlament nicht wie bereits geschehen verlängert würden. Es gälte sogar, wenn Linke und Grüne nicht die Möglichkeit erhielten, Untersuchungsausschüsse durchzusetzen – obwohl die gemeinhin als „schärfstes Schwert“ der Opposition angesehen werden. Die praktische Bedeutung all dieser Möglichkeiten wird in der aktuellen Debatte überschätzt.

 

Das Abendland ginge nicht unter, wenn die Legislaturperiode in diesem Sinne einfach ausgesessen würde und ohne Untersuchungsausschuss oder von der Opposition angestrengtes Normenkontrollverfahren zu Ende ginge. Beides ist gegenwärtig nicht möglich, weil die Oppositionsfraktionen die im Grundgesetz festgelegte Quote nicht erfüllen. Politischer, auch oppositioneller Einfluss entfaltet sich heute auf vielfältige Weise – parlamentarisch, außerparlamentarisch, in den Medien, im Internet oder bei Twitter-Proteststürmen. Angesichts dieser Möglichkeiten sollte keiner behaupten, dass die Überlänge schwarz-roter Reden im Bundestag die Wirkungsmacht der Opposition zunichtemachte.

Die Koalition gibt ihre Blockade auf

Dennoch ist dies kein Plädoyer für die Beibehaltung des Status quo. Minderheitenrechte sind im Parlament wie auch im wirklichen Leben die Königsrechte der Demokratie. Deshalb ist es gut, dass die Koalition ihre anfängliche Blockade aufgegeben hat und nicht zuletzt unter dem Einfluss von Bundestagspräsident Norbert Lammert Wege sucht, die Opposition über ihr zahlenmäßiges Gewicht hinaus zu stärken und auch die Einberufung von Untersuchungsausschüssen zu ermöglichen.

Gestritten wird noch über den richtigen Weg. Grüne und Linke wollen niedrigere Quoten durch eine Grundgesetzänderung für alle Zeiten absichern. Union und SPD plädieren dafür, die nötigen Weichen in der Geschäftsordnung des Bundestags für die Dauer der Legislaturperiode so zu stellen, dass die Opposition eigenständig handeln kann. Beide Wege haben Vor- und Nachteile. Lammerts Vorschlag führt – wenn er denn gut zu Ende gebracht wird – zu einem verlässlichen „Gentlemen’s Agreement“, das praktikabel, aber nicht rechtsverbindlich ist. Der von der Opposition favorisierte Weg wäre verfassungsfest, würde die Hürde für Organklagen und Untersuchungsausschüsse aber grundsätzlich senken.

Die Geschäftsordnung muss geändert werden

Das birgt die Gefahr, dass es langfristig zu einer Inflation von Untersuchungsausschüssen kommt. Damit würde das Instrument, das ohnehin schon viel zu häufig eher dem parteipolitischen Scharmützel als der Aufklärung dient, verkommen. Das wäre ein empfindlicher Verlust für die Demokratie.

Deshalb ist der Weg über eine Änderung der Geschäftsordnung vorzuziehen. Damit die Minderheit zu ihrem Recht kommt, muss die Koalition der Opposition allerdings nicht nur das Recht zur Einberufung eines Untersuchungsausschusses, sondern auch die Herrschaft über den Untersuchungsauftag überlassen. Das ist unbequem, aber demokratisch.

Wie die Frage am Ende ausgeht, entscheidet nicht über das Funktionieren der Opposition. Es ist wichtig, weil sich daran zeigt, wie stark der Sog der Macht wirkt und ob Vertreter gefestigter demokratischer Parteien, einmal an die Regierung gelangt, dagegen gefeit sind. Bei den Minderheitsrechten geht es um demokratische Macht und ihre Grenzen, um politischen Anstand und Moral. Da wird diese übergroße schwarz-rote Koalition sich doch wohl nicht schon am Anfang dieser Legislaturperiode blamieren wollen?