Die neuen Klimaziele der EU-Kommission sind enttäuschend. Würden sie umgesetzt, verspielte die EU ihre Vorreiterrolle, die sie bisher im Klimaschutz hatte. Dies ist die Analyse des Brüsseler StZ-Korrespondenten Christopher Ziedler.

Brüssel - Die erste Schlacht haben Umweltschützer und die Bundesregierung mit Pauken und Trompeten verloren. Der Krieg der Lobbyisten um die künftige Klimapolitik der Europäischen Union dagegen ist noch nicht zu Ende. Schließlich entscheiden darüber die Staats- und Regierungschefs sowie das Europaparlament und nicht die EU-Kommissare, die jetzt lediglich Vorschläge vorgelegt haben. Aber sie geben die Tendenz vor: Demnach sieht es nicht gut aus für einen ehrgeizigen Klimaschutz, der die Erderwärmung bis 2050 auf zwei Grad begrenzen will und damit seinen Namen verdient.

 

Das fängt an beim CO2-Ziel, dem Kern aller Mühen. Der Vorschlag, den CO2-Ausstoß bis 2030 um 40 Prozent zu drosseln, liegt am unteren Ende dessen, was viele Forscher für nötig erachten, um langfristig eine Reduktion von mindestens 80 Prozent des Kohlendioxidausstoßes erreichen zu können. Da muss man froh sein, dass sich Industriekommissar Antonio Tajani oder sein für Energie zuständiger Kollege Günther Oettinger mit 32 und 35 Prozent nicht durchgesetzt haben. Bei diesen Werten landet Europa Projektionen zufolge schon mit den bereits beschlossenen Maßnahmen. Umweltschutzverbände fordern daher 50 und mehr Prozent.

Das Innovationsfeuerwerk wird unterschlagen

Die Krise hat den Irrglauben verstärkt, die Wirtschaft dürfe nicht mit zu hohen Reduktionszielen überfordert werden. Unterschlagen wird dabei das Innovationsfeuerwerk, das die politischen Zielmarken provoziert haben. Kühlschränke verbrauchen weniger Energie als noch vor Jahren, Autos weniger Sprit – was auch den Kunden zugute kommt. Und nicht zuletzt ist ein leistungsstarker Wirtschaftssektor entstanden, der Solartechnik und Windkraftanlagen in alle Welt exportiert.

Verheerend wäre da, wenn es nach Ende des derzeitigen Klimaregimes 2020 keine wirklich verbindliche Marke für den Ausbau erneuerbarer Energien mehr gäbe. Die EU-Kommission befürwortet zwar ein europäisches Gesamtziel, im Gegensatz zu bisher sollen daraus aber keine konkreten Verpflichtungen für einzelne Länder erwachsen. Genau diese Unverbindlichkeit hat dazu geführt, dass diese Marke als einzige 2020 wohl nicht erreicht wird.

Es droht eine nukleare Renaissance

Was unternähme die Kommission denn in Zukunft, wenn die EU als Ganzes bei Ökostrom und Biomasse unter Plan läge? Sich selbst verklagen? So wird Klimaschutz unglaubwürdig. Briten oder Polen, die lediglich das CO2-Ziel erreichen und sonst mit Atomstrom das Klima retten wollen, haben sich in Brüssel durchgesetzt. Drei Jahre nach Fukushima droht eine nukleare Renaissance, da individuelle Vorgaben für erneuerbare Energien beim Energiemix wegfallen. Die Bundesregierung kritisiert zu Recht, dass ohne klares Ökostromziel den Investoren die Sicherheit fehlt und der Netzausbau gebremst wird, der für Sonnen- und Windenergie wichtig ist. Kurzum: auch für die Energiewende in Deutschland ist es kein guter Tag gewesen.

Dabei sind die Argumente für den kleinsten gemeinsamen Nenner, um auch London für den nötigen einstimmigen Beschluss zu gewinnen, schwach. Es lässt sich schwer bestreiten, dass Ökostrom derzeit zu teuer ist und Industrie- wie Privatkunden Probleme bereitet. Das aber liegt vor allem an der veralteten Förderkulisse, die – europäisch abgestimmt – reformiert gehört, wie es nun in Deutschland geplant ist. Die Technik selbst ist billiger und wettbewerbsfähig geworden – unter Berücksichtigung der stets unterschlagenen Subventionen für Kernkraft und Kohle ohnehin. Darauf hinzuweisen muss das Ziel von Angela Merkel beim nächsten Gipfel sein. Andernfalls droht ein globaler Stillstand im Kampf gegen die Erderwärmung. Wenn ausgerechnet die EU, bisher Vorreiterin beim Klimaschutz, vor der Weltklimakonferenz Ende 2015 in Paris signalisiert, dass auch sie abwartet, ist der Abschluss eines neuen Weltklimavertrages ernsthaft in Gefahr.