Der alte Spruch „Hast du einen Opa, schick’ ihn nach Europa“ gilt für die neue EU-Kommission nicht mehr, meint der StZ-Korrespondent in Brüssel, Christopher Ziedler. Junckers Team könnte der dringend nötige Neuanfang gelingen.

Brüssel - Jean-Claude Juncker ist kein frisches Gesicht in der Europapolitik. Dieser Vorwurf hat den künftigen EU-Kommissionschef schon im Europawahlkampf ständig begleitet. Trotzdem ist es nun ausgerechnet der 59-Jährige, der so etwas wie Aufbruchstimmung in Brüssel verbreitet. Zumindest sind seine ersten Personalentscheidungen und die neue Arbeitsweise im Kommissarskollegium dazu angetan, etwas optimistischer in die europäische Zukunft zu schauen. Juncker hat um gute Leute gekämpft und sie von vielen Regierungen auch bekommen. Mehrere ehemalige Premiers gehören der neuen Kommission an, der Finne Jyrki Katainen hat sogar ohne Not sein Amt als Ministerpräsident gegen ein Kommissarsamt eingetauscht.

 

Hinzu kommen in der Heimat angesehene und auf der Brüsseler Bühne erfahrene Minister wie der Niederländer Frans Timmermans als Junckers erster Stellvertreter oder die Dänin Margrethe Vestager als Wettbewerbskommissarin und erfahrene Europaabgeordnete. Der alte Spruch „Hast Du einen Opa, schick ihn nach Europa“, der die EU als Versorgungsanstalt abgehalfterter Politrentner beschreibt, gilt heutzutage nicht mehr.

Oettinger erhält kein klassisches Topressort

Günther Oettinger hat in dieser Konstellation keines der klassischen Topressorts abbekommen – auf den ersten Blick ein Abstieg. Das muss es aber nicht sein, da die Zuständigkeit für die Onlinewirtschaft mit der Urheberrechtsreform und der Schaffung eines digitalen Binnenmarkts Potenzial hat. Auch Oettingers Energieportfolio galt vor fünf Jahren als unbedeutend. Die größten Fragezeichen stehen freilich hinter dem Währungskommissar Pierre Moscovici aus Frankreich, der seinem eigenen Land die Schuldenmacherei austreiben soll, und dem Briten Jonathan Hill als oberstem Finanzmarktregulierer. Dass ausgerechnet er dafür zuständig sein soll, die Auswüchse der Londoner City einzudämmen, ist eine Provokation.

Es ist dagegen ein starkes Signal, dass jene Staaten, die auf Junckers Wunsch Frauen nachnominiert haben, um einen reinen Brüsseler Männerclub zu verhindern, mit wichtigen Bereichen bedacht wurden. Das zeugt von Unabhängigkeit von den Hauptstädten, die der neuen EU-Kommission nur guttun kann. Sie sollte das europäische Interesse nicht danach definieren, was die französische und vor allem die deutsche Regierung dafür halten. In der Eurokrise rissen die Staats- und Regierungschefs mit ihren nationalen Interessen das Geschehen an sich und drängten die Kommission von José Manuel Barroso an den Rand.

Die reformierte Struktur kann der Kommission helfen

Es ist schwer, doch muss eine gute EU-Kommission selbstbewusster und bescheidener zugleich auftreten, mithin politischer, die gesellschaftlichen Realitäten in den Mitgliedstaaten stärker einbeziehend. Auch Barroso verkündete zum Ende seiner Amtszeit hin, Großes groß und Kleines klein machen zu wollen – es ist an Juncker, diesen guten Vorsatz nun wirklich zu beherzigen. Die Großthemen Arbeitsplätze, Euro, digitaler Binnenmarkt, Energieunion, Bürokratieabbau hat er benannt.

Die reformierte Struktur kann bei der Neuausrichtung helfen. Es wird sieben Vize ohne eigenes Aufgabengebiet geben, die die Arbeit der ihnen zugeordneten Fachkollegen koordinieren sollen, damit ein Vorhaben nicht das andere konterkariert oder automatisch auf die Tagesordnung kommt. Nicht jede Idee eines EU-Beamten muss zur Richtlinie werden. Das könnte zu Unmut bei den „normalen“ Kommissaren führen, zu denen auch Oettinger gehören wird, und im schlechtesten Fall ein großes Kompetenzwirrwarr erzeugen. Es bietet aber die Chance für eine effizientere Politik und einen Neubeginn in Brüssel, dessen Ruf in ungeahnte Tiefen abgesunken ist. Es kann deshalb nur besser werden. Der frühere Eurogruppenchef Juncker scheint das – von ein paar unschönen Begleiterscheinungen abgesehen – erkannt zu haben.