Berlin steht vor großen Herausforderungen. Deshalb kann sich die Stadt Gleichgültigkeit eigentlich nicht leisten. Doch genau dies passiert, kritisiert die StZ-Redakteurin Katja Bauer. Dies ist tragisch für die Stadt.

Berlin - Berlin schlechtzureden ist einfach. Das fängt beim Klischee der geldverschluckenden Metropole an und hört auf mit dem Bild einer anstrengungslosen Milchkaffeebohème, die hier in den Tag hineinlebt. Irgendwer wird es schon richten – das, so könnte man dieser Tage meinen, sei das Kredo der Stadt. Neulich entschieden sich die Bewohner offensiv für Stillstand: nichts, so beschlossen sie per Volksentscheid, darf auf dem Tempelhofer Feld passieren, einer Freifläche so groß wie Monaco, erste Lage. Und das, obwohl die Mieten explodieren. Gleichzeitig wird die Flughafengeschichte um das Kapitel der Korruption erweitert – während man inzwischen offen debattiert, den Airport am besten nicht zu Ende zu bauen – ernsthaft.

 

Und was ist die Standardreaktion? Schulterzucken. Die Stadt befindet sich in einer Art Lähmung, und es ist nicht einmal eine Schockstarre. Was sich ausbreitet, ist puddinghafte Gleichgültigkeit. Erstaunlich, denn Berlin steht vor großen Herausforderungen. Es sind im Kern die Aufgaben, die andere Städte auch haben: demografischer Wandel, Integration, Bildung, Wohnungsbau, Daseinsvorsorge. Die anderen Städte sind eben nur ein wenig kleiner, ein wenig reicher, und es geht etwas ruhiger zu. Aber an der Spree bildet sich vieles härter und schärfer ab. Das liegt neben der Größe an der Struktur: die Stadt ist als Folge der deutschen Teilung wirtschaftlich schwach.

Die Stadt wächst unerwartet rasch

Zum anderen ist Berlin einer rasanten Veränderung unterworfen. Binnen 25 Jahren ist die Hälfte der Bevölkerung ausgetauscht worden, das Stadtbild hat sich komplett gewandelt. Die Stadt wächst seit Kurzem unerwartet. 50 000 Bewohner im Jahr kommen aus aller Welt mit ihren Kulturen und Ideen. Diese Dynamik ist extrem erfreulich. Man kann sie so oft beschwören wie Klaus Wowereit, der sich gerne mit diesem Erfolg verknüpfen lässt – nicht zu Unrecht, er hat früh die wachsende Strahlkraft der Stadt erkannt und entwickelt.

Aber Veränderung ist auch anstrengend und beängstigend, für die, die hinten runterfallen. Berlin ist – immer noch – eine arme Stadt. Die neuen Arbeitsplätze verteilen sich vorwiegend auf die Neuankömmlinge. Die Mieten steigen, die Innenstadt wird schick, aber nicht für die, die hier bis jetzt leben und weichen müssen. Zugleich steigen die Ansprüche der Stadtgesellschaft auf demokratische Beteiligung – bei gleichzeitiger Veränderungsunwilligkeit. Diese Gemengelage erfordert eine Politik des Mitnehmens, die diskursfreudig und transparent ist, aber auch in der Lage, Impulse zu setzen. Der Volksentscheid zu Tempelhof war vor allem erfolgreich, weil der Senat seine Politik nicht erklären konnte. Wowereit gelingt das nicht mehr. Ihm fehlen Leidenschaft, Ideen und schlimmer noch: ihm fehlt zusehends Tuchfühlung zu seinen Berlinern.

Nur die Lähmung hält Wowereit im Amt

Am Mittwoch wird er im Roten Rathaus zum Sommerfest laden. Und bei erhobenen Gläsern wird sich die Mehrheit einig sein: eigentlich geht es so nicht weiter – wird es aber. Das liegt nicht an der Machtfülle des Hausherrn, dessen Beliebtheitswerte im Keller sind. Was ihn im Amt hält, ist allein jene Lähmung. Sie entsteht, weil kein Kombattant eine ernsthafte Machtoption hat. Innerhalb der SPD findet die Revolution nicht statt. Die potenziellen Nachfolger mögen zwar die richtigen Zukunftsthemen identifiziert haben, aber sie trauen sich den Sturz des Königs nicht zu und belasten die Partei mit ihrer Konkurrenz. Die Verzwergung der Partei ist in den Umfragen zu sehen. Der kleine Koalitionspartner CDU, der sich bisher darauf beschränkt hat, gute Laune zu verbreiten, ist ebenfalls gelähmt. Ein vorzeitiges Ende der Koalition würde die Macht kosten, denn ein schwarz-grünes Bündnis als Alternative ist für Berlins Grüne nicht denkbar.

Das alles ist tragisch, vor allem für die Berliner, denn die Stadt müsste dringend mal regiert werden.