Der Trend zum G-9-Gymnasium ist in Baden-Württemberg ungebrochen. Das gefährdet die Bildungspläne der grün-roten Regierung, mein StZ-Redakteurin Renate Allgöwer.

Stuttgart - Im Schulwesen in Baden-Württemberg gilt dasselbe Prinzip wie in der Wirtschaft: Die Marke macht’s. Aller Kritik am achtjährigen Schnellzug zum Trotz bleibt das Gymnasium die gefragteste Schulart im Land. Die Übergangszahlen für das kommende Schuljahr bestätigen jedenfalls die Trends der jüngeren Vergangenheit. Keine Überraschung ist auch, dass G9 überall vorne liegt, wo Eltern zwischen neunjähriger und achtjähriger Gymnasialzeit wählen dürfen. Und es bedarf keiner prophetischer Fähigkeiten, vorherzusagen, dass sich mehr Eltern für die neunjährige Variante entscheiden würden, hätte die Landesregierung diese Möglichkeit nicht auf 44 Standorte beschränkt. Die Sehnsucht nach G9 ist allgegenwärtig. Auch andere Bundesländer leiten teilweise den Rückzug vom sogenannten Turbo-Abi ein.

 

Für die grün-rote Bildungspolitik ist die Dauer der gymnasialen Schulzeit allerdings ein Knackpunkt. Der SPD-Kultusminister Andreas Stoch ist zwar bemüht, das Streitthema für den Rest der Legislatur unter dem Tisch zu halten, es ist aber fest damit zu rechnen, dass gerade seine SPD den Wunsch der Eltern zu gerne erfüllen möchte und ihre alte Position, mehr neunjährige Gymnasien anzubieten, pünktlich zur Landtagswahl im Jahr 2016 wiederaufleben lassen wird.

G 9 passt nicht zur Schulpolitik von Grün-Rot

Die Stimmen des Philologenverbands sind den G9-Befürwortern sicher. Doch das von Grün-Rot propagierte Zweisäulenmodell für das Schulsystem käme ins Wanken. Das flächendeckende G9 passt einfach nicht zur reinen Lehre der Gemeinschaftsschule. Wenn das allgemeinbildende Gymnasium selbst zwei Geschwindigkeiten anbietet, entgeht der neuen Schulart eine wichtige Schülergruppe. Die Gemeinschaftsschule reinsten Wassers wendet sich an Kinder aller Begabungsniveaus. Sie funktioniert nur, wenn auch Kinder mit Gymnasialempfehlung kommen, denen es vielleicht am G8 doch zu schnell geht.

Die aktuellen Zahlen legen nahe, dass die Gemeinschaftsschule bisher gerade für diese Gruppe nicht sonderlich attraktiv ist. Die Anmeldezahlen für die Gymnasien bewegen sich unverändert auf hohem Niveau. Sie scheinen unbeeinflusst davon, dass es im September 209 statt bisher 128 Gemeinschaftsschulen im Land geben wird. Das Gros der Gemeinschaftsschüler ist die klassische Klientel der Werkrealschule, die als Marke nicht mehr gefragt ist. Das liegt nahe, haben sich doch viele Gemeinschaftsschulen aus Werkrealschulen entwickelt.

Kein echter Renner: die Gemeinschaftsschule

Gegenwärtig ist es meist die bloße Hoffnung, auf die Grün-Rot ihre Beteuerungen stützt, dass der Anteil von Kindern mit Realschul- und Gymnasialempfehlung an den Gemeinschaftsschulen steige. Das mag an den Standorten zutreffen, die aus Realschulen entstanden sind. Doch gerade bei den Realschulen ist das Interesse an der Transformation zur Gemeinschaftsschule noch gering. Wenn es dabei bleibt, ist die Gemeinschaftsschule auf dem Weg zur Werkrealschule der Zukunft.

Die Steuerungsmöglichkeiten der Politik sind begrenzt. Doch kann sie eine strategische Perspektive eröffnen. Die Gemeinschaftsschule kann die neunjährige Alternative zu G8 werden, sei es mit einer eigenen gymnasialen Oberstufe oder – was wahrscheinlicher ist – in Kooperation mit den beruflichen Gymnasien. Dann wird sie, wie die Realschule, auch für Kinder mit Gymnasialempfehlung attraktiv. Das setzt aber voraus, dass sich die Regierung klar positioniert, wie sie es mit G9 an allgemeinbildenden Gymnasien hält. In Konkurrenz zu G9 kann sich die Gemeinschaftsschule nicht behaupten. Sich insgeheim alle Wege (und Wählerschichten) offen halten zu wollen, mildert zudem nicht die allgemeine Verunsicherung im Schulwesen. Bleibt die Positionierung aus, scheitert das Zweisäulenmodell. Mit dem Umbau des Schulsystems aber hat die Koalition selbst ihren Erfolg eng verknüpft.