Die NPD darf nicht unterschätzt werden. Bürger und Politiker müssten „rechte Deutungsmuster“ bekämpfen, fordert der Professor Kurt Möller.  

Aus den Stadtteilen: Kathrin Wesely (kay)

Korb - Rechtsextreme Vorkommnisse haben den Rems-Murr-Kreis im zu Ende gehenden Jahr immer wieder in die Schlagzeilen gebracht. Solche Dinge stillschweigend zu dulden sei der schlechteste Weg, braunem Gedankengut zu begegnen - das ist die Einschätzung Kurt Möllers. Der Professor für Soziale Arbeit an der Hochschule Esslingen befasst sich seit 25 Jahren mit dem Rechtsextremismus. Er stellt die politischen Verfehlungen der vergangenen Jahre in Korb mit Blick auf die jüngst aufgedeckte rechte Mordserie in einen großen Zusammenhang. Und er warnt: Die NPD sei weit schlechter als ihr Ruf.

 

Kurze Rückblende: Mitte April war nach Recherchen unserer Zeitung publik geworden, dass die NPD im Schwäbischen Hof in Korb heimlich ihre Landesparteitage 2009 und 2010 sowie einen Kongress abgehalten hatte. Verfassungsschutz und Polizei, Bürgermeister Jochen Müller und Landrat Johannes Fuchs waren informiert gewesen und hatten geschwiegen. Es hagelte Kritik, bis hin zu Rücktrittsforderungen. Trotz allem tagte die NPD im Juli erneut in Korb.

Weniger Rechtsextreme, dafür mehr Gewaltbereite

Mit der Geheimhaltung hätten die Verantwortlichen eine Strategie gefahren, die dazu beitrage, die Rechten und ihre Ansichten zu normalisieren, sagt Möller. "Mit der Einstellung, dass man der NPD bloß keine Aufmerksamkeit schenken sollte, fördert man deren Akzeptanz." Die langfristige Folge sei "die Unterwanderung des gesellschaftlichen Bewusstseins". Denn dieses politische Handeln setze Normen. Richtig wäre gewesen, die Sache zu skandalisieren, seine Ablehnung offen zu zeigen.

Auch vor dem Hintergrund der jüngst aufgedeckten Mordserie durch rechte Terroristen könne sich der Verdacht aufdrängen, dass Stillschweigen und Wegsehen die bevorzugten Strategien derer seien, die eigentlich aufklären sollten. "Als privater Bürger fällt mir dies immer öfter auf", sagt Möller, "aber untersucht habe ich das nicht."

Untersucht hat er allerdings das Personal der rechten Szene. "Laut dem Verfassungsschutz geht das Personenpotenzial seit einigen Jahren zurück." 1993 seien der Szene noch 65.000 Personen, meist Männer, zugerechnet worden, heute seien es 25.000. Es zeige sich aber, so der Experte, eine starke qualitative Veränderung: "Es gibt zwar weniger Rechtsextreme, dafür mehr Gewaltbereite."

Die Brückenfunktion der NPD

Diese seien meist nicht in Parteien organisiert, aber ideologisch gefestigt, gefährlich und jung. Das typische Einstiegsalter in die rechte Szene liege zwischen 13 und 16 Jahren. Die niedrigen Mitgliederzahlen der rechten Parteien sind vor diesem Hintergrund alles andere als beruhigend. "Die Rechtsextremen waren bis in die 80er Jahre hauptsächlich in Parteien organisiert, seit Anfang der 90er gibt es neue Organisationsformen", berichtet Möller. Es gebe viele kleine Zellen, die Jugendliche anzögen.

Die einzige Ausnahme, so Möller, sei die NPD. "Die Partei hat in den vergangenen zehn Jahren Zuwächse verzeichnet, darauf wären SPD und CDU neidisch. Momentan stabilisiert sich die Mitgliederzahl der NPD bei fast 7000 Mitgliedern." Aus Möllers Sicht ist die Partei vom extremistischen Rand nicht abgekoppelt. "Die NPD hat hier eine Brückenfunktion übernommen. Sie ist zwar einerseits eine legale Partei, andererseits kooperiert sie mit dem subkulturellen gewaltbereiten Spektrum. Dadurch wird die NPD selbst gefährlicher."

Für wirkungsmächtiger noch als die braunen Parteien hält Möller jedoch die "Umschlagplätze von rechten Deutungsmustern" im Alltag. Fremdenfeindlichkeit, Sexismus oder ein soldatisches Männerideal würden nicht nur in rechtsextremen Kreisen propagiert, sondern auch in der Familie, der Kneipe oder der Clique weitergegeben. "Junge Leute sind nicht von sich aus rechtsradikal", sie übernähmen das von den Erwachsenen. Schon deshalb sei es wichtig, klarzumachen, was akzeptabel ist und was nicht. NPD-Parteitage in der Dorfkneipe jedenfalls seien es nicht.

Die NPD im Rems-Murr-Kreis

Parteitage Die NPD hat 2009 und 2010 ihre Landesparteitage in Korb abgehalten. Im Juni 2010 veranstaltete sie zudem einen Bundeskongress ihrer Jugendorganisation.

Schweigen Die Verfassungsschützer des Landes, die Polizei, der Landrat des Rems-Murr-Kreises sowie der Bürgermeister von Korb waren vorab informiert gewesen. Sie beschlossen, Stillschweigen zu bewahren.

Treffen Im Juli 2011 fand in dem Lokal ein weiteres NPD-Treffen statt. Im September berichtete die Polizei außerdem von einer NPD-Zusammenkunft in einer Wirtschaft in Aspach.