Vom Südwesten lernen, heißt siegen lernen – in Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt gibt es nervenaufreibende Hängepartien. Trotzdem fremdelt ein Teil der Partei auch mit Kretschmanns Kurs.

Berlin - Groß ist der Jubel, der an diesem Sonntag kurz nach 18 Uhr in der Landesvertretung Baden-Württembergs in Berlin laut wird. Viele Anhänger der Grünen haben sich dort versammelt. Und als nun die Fernsehsender die Prognosen für das Ergebnis der Landtagswahl im Südwesten bekannt geben, ist ihre Begeisterung riesig. „Wunderbar“, sagt die Freiburger Bundestagsabgeordnete Kerstin Andreae: „Das ist ein Traumergebnis für uns.“ Das ist es wohl in der Tat. Nie zuvor in den gut 30 Jahren ihres Bestehens hat die Ökopartei bei einer Landtagswahl so gut abgeschnitten. Nie zuvor war sie in einem Land stärkste politische Kraft. Im Südwesten haben die Grünen mit ihrem populären Spitzenmann, Ministerpräsident Winfried Kretschmann, die CDU auf den zweiten Platz verwiesen.

 

Nachdenkliche Töne nach dem ersten Jubel

Entsprechend geknickt zeigten sich die Christdemokraten, die am Sonntag Abend in der Landesvertretung den Wahlabend verfolgten. Und so ging es auch den Sozialdemokraten. Viele Bürger, meint der Nürtinger Bundestagsabgeordnete Rainer Arnold, hätten unbedingt vermeiden wollen, dass der CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf Ministerpräsident werde. Und als sich in den Umfragen abzeichnete, dass die Grünen die Chance hatten, stärkste Partei zu werden, habe das Kretschmann weiter Auftrieb gegeben – Auftrieb, der sich zulasten der SPD ausgewirkt habe.

Bei den Grünen schlichen sich nach dem ersten großen Jubel aber auch nachdenkliche Töne ein. Denn so glänzend ihr Ergebnis in Baden-Württemberg ausfällt, so sehr schwächeln sie an diesem Wahltag in Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt. Gewiss: Beide Länder waren nie Hochburgen der Grünen. Im Magdeburger Parlament waren die Grünen über viele Jahre hinweg gar nicht vertreten und kamen erst im Zuge von Fukushima vor fünf Jahren auf ein respektables Ergebnis. Dass die Ökopartei in Rheinland-Pfalz allerdings nahezu zwei Drittel ihrer Anhänger verlor und am Sonntagabend sogar um den Sprung ins Mainzer Parlament bangte, kommt fraglos einer krassen Niederlage gleich.

Kretschmanns Strahlkraft gefällt nicht jedem

Was machen die Grünen aus dieser ungleichen Entwicklung? Winfried Kretschmann meint, sein Erfolg werde Strahlkraft im Bund haben und die ganze Partei beflügeln. Doch auf dem linken Flügel meinen viele, dass Kretschmann nur erfolgreich sei, weil er im Grunde keine ur-grüne Politik mache und viel zu pragmatisch handle. Diesen Konflikt hatte die Partei schon beim Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2013 und später in der Asylpolitik – genauer bei der Abstimmung im Bundesrat über die sogenannten sicheren Herkunftsstaaten - ausgefochten.

Vor der Wahl 2013 setzte sich Jürgen Trittin mit seinem klar links positionierten Kurs durch – und fuhr eine schwere Niederlage ein. Nur 8,4 Prozent der Stimmen bekamen die Grünen 2013. Am Sonntag nun konnte Kretschmann, Trittins Rivale von damals, mit einem glänzenden Sieg aufwarten und etwa 31 Prozent der Stimmen gewinnen. 8,4 Prozent versus 31 Prozent: Die Zahlen sind eindeutig. Oder anders gesagt: Kretschmanns Erfolg spricht für sich – und dafür, dass die Grünen mit einem Kurs der Mitte Wähler gewinnen. Doch ob die Bundespartei diese Lehre beherzigen wird, ist völlig offen. Kerstin Andreae rät ihren Freunden, es zu tun. Natürlich lasse sich Baden-Württemberg nicht eins zu eins auf die ganze Republik übertragen. Aber pragmatisch-bürgernah aufzutreten: Das sei allemal und überall ein Ansatz, der von den Wählern honoriert werde.