Kriegssatire: Die Serie „Catch-22“ Ein Himmel voller Flakgranaten

Er muss die Nazis besiegen. Aber er will nicht mehr. Der Bombenschütze Yossarian will nur noch überleben. Die von George Clooney mitproduzierte Miniserie „Catch-22“ erzählt bitterböse und mit abgedrehtem Humor vom Zweiten Weltkrieg.
Stuttgart - Oberst Scheisskopf ist gar nicht zufrieden mit seinen Männern. Sie marschieren nicht akkurat genug, nicht mit jener Spieluhrpräzision des exakt eingehaltenen Abstands der Arme zum Körper und des präzise beachteten Ausschwingbogens nach vorn und hinten. Also begibt sich dieser von George Clooney gespielte Pedant in der Miniserie „Catch-22“ selbst zwischen die Reihen seiner angehenden Bomberbesatzungen und macht ihnen zeternd und verachtungsvoll vor, wie sich der ideale Soldat auf dem Übungsplatz zu bewegen hat.
Einige der Männer scheinen Zweifel zu hegen, ob ihnen das viel helfen wird, Nazideutschland niederzuringen und ihre Bomben unter Lebensgefahr präzise ins Ziel zu bringen. Scheisskopf aber verbohrt sich in seine Winkel- und Zentimeterbesessenheit, als seien Kampfeinsätze nur die Erholungspause zwischen den kriegsentscheidenden Auftritten seines hackenknallenden Uniformiertenballetts.
Die Szene ist lachtränentreibend absurd und illusionszerstäubend gruselig. Zugleich zeigt sie gut, warum diese sechsteilige Miniserie, bei der Clooney als Produzent und bei zwei Folgen auch als Regisseur agierte, ihre Berechtigung hat.
Ausgeliefert auf lange Zeit
Joseph Hellers 1961 erschienener Roman „Catch-22“ ist eine der Großleistungen der amerikanischen Literatur und nach Meinung vieler Kenner die treffendste Kriegssatire aller Zeiten. Wer das nicht gelesen hatte oder wer nach Lektüre neugierig auf eine andere Vorstellungskraft als die eigene war, konnte bislang auf einen großartigen Spielfilm zurückgreifen, auf Mike Nichols’ „Catch-22“ aus dem Jahr 1970. Diese Adaption wird noch lange als Lehrstück dienen, wie man einen ideen-, figuren- und kapriolenreichen Roman radikal auf Spielfilmlänge kürzt und seinen Geist doch wahrt: in diesem Fall also rabenschwarze Komik und verzweiflungsnahe Freude an unauflösbaren Widersprüchen.
Colonel Scheisskopfs Exerzierübung zeigt gut, was die Miniserie bieten kann: Ausführlichkeit. Je länger Scheisskopf erklären und toben darf, desto klarer tritt der Irrsinn hervor. Desto deutlicher wird auch, dass die auszubildenden Bomberbesatzungen diesem Mann und ähnlichen Typen langfristig ausgeliefert sind.
Ein fieser Kniff
Darum geht es in „Catch-22“ schließlich: ums Ausgeliefertsein – und die pure, zermürbende Dauer dieses Zustands. Heller verzichtete in seinem Roman nicht nur aufs Heldenpathos, das taten viele andere Autoren vor ihm auch. Er entwarf mit dem Bombenschützen Yossarian, genannt Yo-Yo, einen bekennenden Feigling, einen Mann, dessen Nerven am Ende sind. Yossarian will diesen Krieg überleben, dessen Ausgang klar zu sein scheint: die Nazis verlieren. Aber das sollen bitte andere durchfechten. Yossarian wendet alle Tricks an, um nicht in einer kleinen Flugzeugkanzel in einem Himmel voller explodierender Flakgranaten sitzen zu müssen.
Einmal kommt er auf die Idee, sich als geistig zerrüttet zu präsentieren und stößt auf jenen fiesen Militärbürokratiekniff, der Buch, Film und Serie den Titel gibt. Man kann wegen stressbedingten Irrsinns von Kampfeinsätzen befreit werden, aber nur auf eigenen Antrag. Wer so einen Antrag stellt, beweist damit allerdings, dass er noch gar nicht irrsinnig ist. Denn die Umsicht, sich selbst vor tödlicher Gefahr bewahren zu wollen, spricht für das normale Funktionieren des Verstandes.
Wie gut sind die Guten?
Solche Tücken wirken hier nicht wie freche Gags, sondern wie die Steinräder einer Menschenmühle, weil das tolle Ensemble – vor allem Christopher Abbott als Yossarian- spüren lässt, unter welchem Stress die Soldaten stehen. Und weil die Darsteller von Offizieren – Clooney, Kyle Chandler, Hugh Laurie – abgedrehte Spinner liefern, ohne harmlose Karikaturen aus ihnen zu machen. Immer wieder dürfen ausführlich der Militärgeist und das Denken der Soldaten aufeinandertreffen – was zu flotten Dialogketten des Sinnverlusts führt wie einst in den Komödien der legendären Marx Brothers.
Am subversivsten ist natürlich die Erkenntnis, dass noch im nötigsten, rechtfertigbarsten Krieg die Seite der Guten nur aus der Ferne klar auszumachen ist. Je näher man herangeht, desto unmenschlicher, unfairer, undankbarer wirkt auch die Armee mit den besseren Zielen. „Catch-22“ ist ein Generalangriff auf jene zahlreichen Falken in Amerika, die den Dauerkrieg zur edlen Selbstverständlichkeit für die Söhne einer Weltmacht erklären möchten. Wer ein paar Stunden mit Yossarian und seinen Kameraden verbringt, ist gegen manche Propaganda gefeit.
Verfügbarkeit: alle sechs Folgen sind abrufbar bei Starzplay, einem zusätzlich buchbaren Kanal bei Amazon Prime Video.
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