Krippenplätze sind rar. Doch bisher ist es keiner Stuttgarter Familie gelungen, einen Platz per Gerichtsurteil zu erstreiten. Nun klagen mehrere Eltern auf eine Kostenerstattung für teure Privatbetreuung.

Stuttgart - Noch immer warten die Eltern eines nunmehr fast vierjährigen Buben darauf, dass die Stadt Stuttgart ihnen den Differenzbetrag für den viel teureren privaten Krippenplatz erstattet. In diesem Fall geht es um 5620 Euro. Auf die private Alternative hatte die Familie zurückgegriffen, weil die Stadt ihnen für ihren damals zweijährigen Jungen keinen Betreuungsplatz anbieten konnte. Der Fall wurde am 28. November 2014 im Verwaltungsgericht Stuttgart als erster dieser Art im Südwesten verhandelt (wir haben darüber berichtet). Das Gericht gab der Familie recht und verurteilte die Landeshauptstadt zum Zahlen. Doch die Kommune legte beim Verwaltungsgerichtshof (VGH) Mannheim Berufung ein. Das Urteil steht noch aus. Es könnte Signalwirkung haben.

 

Auf die VGH-Entscheidung warten nicht nur die Eltern des jetzt fast vierjährigen Buben mit Spannung. Denn insgesamt sind beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klagen von 46 Familien mit Kleinkindern aus Stuttgart eingegangen, 29 Klagen sind noch anhängig. Laut Jugendamt verlangen 18 Familien von der Stadt Kostenerstattung für die teurere Privatbetreuung. Doch diese Verfahren habe man zurückgestellt, um erst die Entscheidung aus Mannheim abzuwarten, berichtet Kerstin Wilke, die Sprecherin des Verwaltungsgerichts.

Einige Eltern bekommen Krippenplatz – ohne Verhandlung

Elf Eltern versuchen, einen Krippenplatz einzuklagen, weil sie mit ihrer eigenen Suche nach einem Betreuungsplatz keinen Erfolg hatten. Das ist bei der aktuellen Zahl von rund 3500 fehlenden Krippenplätzen in Stuttgart auch kein Wunder. Erstaunlich ist aber, dass bisher einige Familien, die auf dem Rechtsweg einen Krippenplatz erreichen wollten und auch einen entsprechenden Bedarf nachweisen konnten, den Platz offenbar auch bekommen haben – und zwar stets, bevor es zu einer Gerichtsverhandlung kam.

Diese Beobachtung habe auch die zuständige Kammervorsitzende des Verwaltungsgerichts, Sylvia Thoren-Proske, gemacht, berichtet Wilke. So würden sich „unter dem Druck anhängiger Klagen und Aufklärungsverfügungen des Gerichts bezüglich in zumutbarer Entfernung liegender Kindertagesstätten und deren Belegung immer wieder einzelne Verfahren auf Zurverfügungstellung eines Platzes erledigen“.

Zum Beispiel habe die Stadt Stuttgart in einem Klageverfahren, bei dem es wegen der Aufnahme der Erwerbstätigkeit der Mutter um die Zurverfügungstellung eines Krippenplatzes gegangen sei, kurz vor dem Termin der mündlichen Verhandlung im Oktober 2015 der Familie mehrere Plätze angeboten. Einer davon habe in punkto Betreuungszeit und Entfernung gepasst – und der Fall habe sich erledigt.

Jugendamt: Eltern haben oft nicht den Überblick

Hilft also bereits indirekt der Klageweg, um einen passenden Krippenplatz zu finden – womöglich an der Warteliste vorbei? Bruno Pfeifle, der Leiter des Jugendamts, hält den beschriebenen Fall für „Zufall“. Er beantwortet die Frage anders: „Wir haben andere Möglichkeiten als Eltern – wir gucken auch bei der Tagespflege, und es gibt auch viele neue Einrichtungen.“ Pfeifle weiter: „Es hängt immer davon ab, wo die Eltern geguckt haben. Oft haben die Eltern nicht den Überblick.“ Der Amtsleiter räumt ein, dies sei bei der Vielzahl der Träger in Stuttgart auch nicht so einfach. Hinzu komme: „Wenn die uns die offenen Plätze nicht melden, können wir auch nichts ins Netz stellen.“ Wie berichtet, sieht das Verwaltungsgericht Stuttgart die Stadt dennoch in der Gesamtverantwortung, den Rechtsanspruch der Kinder umzusetzen. In der mündlichen Verhandlung im November 2014 hatte die Kammervorsitzende festgestellt: „Der Jugendhilfeträger muss anbieten“ – und zwar unabhängig vom städtischen Vergabesystem.

Stadt sucht händeringend nach zusätzlichen Betreuern

Die Stadt, so versichert Pfeifle, tue viel dafür. Sie habe den Ausbau der Krippen massiv vorangetrieben: „Wir bauen unglaublich viel und wir suchen auf allen Ebenen Personal – wir haben alles Menschmögliche getan, das geht eben nicht schneller.“ Der Amtsleiter sagt aber auch: „Man kann keinen Platz einklagen, wenn kein Platz da ist.“ Doch dazu ist es bisher auch gar nicht gekommen. In der einzigen diesbezüglichen Verhandlung war das Stuttgarter Ehepaar mit dem damals zweidreiviertel Jahre alten Buben damit einverstanden, die Klage auf einen Platz einzustellen, weil der Rechtsanspruch ohnehin nur noch drei Monate gegolten hätte. Jetzt geht es den Eltern nur noch um die Kostenerstattung.

Dieses Thema ist für die Stadt Stuttgart – und nicht nur für sie – ein heißes Eisen. Schon im Januar vor einem Jahr, unmittelbar nach dem Eingang der Urteilsbegründung, hatte Stuttgart beim VGH Mannheim Antrag auf Zulassung zur Berufung gestellt, welcher im Sommer 2015 positiv beschieden wurde. „Wir wollen da einfach Rechtsklarheit haben“, sagte Sozialbürgermeisterin Isabel Fezer. Seit 9. September liegt dem VGH die Begründung der Berufung vor. Fezer hat neben rechtlichen Bedenken an der Richtigkeit des Stuttgarter Urteils auch die Befürchtung, dass im Falle einer Bestätigung durch den VGH die Stadt sozialpolitisch in Schieflage geraten würde. Konkret müsste die Stadt dann nämlich durch die Kostenerstattung private Träger stärker bezuschussen. Das würde jedoch zu einer Verzerrung der Förderbedingungen innerhalb der Trägerlandschaft führen.

Wann mit einem Präzedenzurteil aus Mannheim zu rechnen ist, konnte auch der VGH-Sprecher Matthias Hettich nicht sagen. Denn die Stelle des zuständigen Vorsitzenden Richters sei derzeit nicht besetzt. Und für die ohnehin gut ausgelasteten Kollegen hätten Eilverfahren Vorrang.

Trotz langer Warteliste keine Klagewelle

Rechtsanspruch
: Seit 1. August 2013 haben Eltern von ein- und zweijährigen Kindern einen Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz – sofern sie einen entsprechenden Bedarf nachweisen können.

Klagen
: Beim Verwaltungsgericht Stuttgart hat es im Jahr 2013 acht Verfahren gegeben, davon sieben auf einen Krippenplatz und eines auf Kostenersatz. Im Jahr 2014 waren es 26 Verfahren, davon neun auf einen Platz und 17 auf Kostenersatz. Im Jahr 2015 waren es insgesamt 16 Verfahren. Alle Eilverfahren blieben bisher erfolglos, in einigen Fällen haben sich die Klageverfahren erledigt, weil ein Platz zugeteilt wurde. Von den laut Jugendamt derzeit noch 29 anhängigen Klagen Stuttgarter Eltern sind elf auf einen Platz und 18 auf Kostenerstattung.

Kostenerstattung:
Ob und – falls ja – bis zu welcher Preisgrenze Kommunen den Eltern künftig den Differenzbetrag einer privaten zur städtischen Kita erstatten müssen, soll ein Urteil des VGH Mannheim klären. Einen Termin gibt es noch nicht. Bis dahin ruhen die Stuttgarter Verfahren.

Rechtsweg
: Als ersten Schritt, um einen Krippenplatz einzuklagen, müssen Eltern den Rechtsanspruch beim Jugendamt geltend machen: Seit dem Sommer haben dies 325 Familien gemacht. Das Amt erteilte 229 Bescheide und erhielt 80 Widersprüche.