Künstliche Intelligenz im Alltag Je mehr Daten, desto besser die Medizin

Aufnahmen mit einer Spezialkamera können vom Computer verarbeitet werden. So lassen sich beispielsweise Muttermale untersuchen. Foto: Fotofinder

Mithilfe von Künstlicher Intelligenz in Kliniken und Arztpraxen könnten Diagnosen präziser und Therapien individueller werden.

Wirtschaft: Ulrich Schreyer (ey)

Stuttgart - Die Künstliche Intelligenz (KI) erobert die Krankenhäuser. Ihr Einsatz dürfte immer wichtiger werden. Dazu die wichtigsten Fragen und Antworten.

 

Was kann Künstliche Intelligenz?

Mithilfe von KI können Ärzte präzisere Diagnosen erstellen. So können sie etwa auf modernen Röntgenbildern sogar kleinste Zellen erkennen. Auch bei Prothesen ist Künstliche Intelligenz gefragt. „Wenn ein Patient ein neues Hüft- oder Kniegelenk bekommt, benötigt der Arzt möglichst viele vergleichbare Daten“, sagt Ina Wüstefeld, Bereichsleiterin für Zulassungen und klinische Studien beim Tuttlinger Medizintechnikunternehmen Aesculap.

„Dann kann er ihm das für ihn beste Gelenk und eine individuelle Therapie empfehlen.“ Dadurch können auch die Kosten gesenkt werden: Wer gleich ein sehr gut passendes Gelenk bekommt, braucht kein zweites – und keine zweite Operation.

Hören Sie dazu unseren Podcast: Künstliche Intelligenz - wie stark sie unseren Alltag prägt

„Die Künstliche Intelligenz ist für den Arzt ein Hilfsinstrument“, sagt Professor Michael Neumaier. Aber die Maschine selbst treffe keine Entscheidungen. „Entscheiden muss der Arzt“, sagt der Direktor des Instituts für klinische Chemie am Universitätsklinikum Mannheim. Die KI benötigt möglichst viele Patientendaten. Je mehr sie hat, umso treffsicherer sind ihre Hinweise etwa darauf, ob sich in der Lunge oder der Prostata ein Tumor befindet.

„KI ist ein Meister des Sehens“, sagt Alexandra Farfsing, die bei Roche Pharma in Mannheim für die strategische Geschäftsentwicklung verantwortlich ist. „Man kann sich das vorstellen wie bei Tieren, etwa Raubvögeln, die mit ihrem scharfen und weiten Blick Dinge erkennen, die der Mensch nicht sieht.“

Wie ist die Akzeptanz unter Patienten?

Angst vor dem Einsatz von KI hätten Patienten offenbar nicht, sagt Professor Holger Hänßle, geschäftsführender Oberarzt an der Universitätsklinik Heidelberg. Dies zeigten Umfragen. Bei der Aussage „durch den Computer kann die Analyse einer Krankheit verbessert werden“ habe es „hohe Zustimmungsraten“ gegeben.

Corona wird die Digitalisierung im Gesundheitswesen nochmals deutlich beschleunigen“, prognostiziert Christian Egle, Partner bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY. Damit spielt er darauf an, dass Gesundheitsämter Daten immer noch per Fax verschicken und noch nicht ausreichend vernetzt sind.

Was passiert in der Klinik?

Holger Hänßle schildert den Ablauf so: Ein Patient kommt etwa zum Hautkrebsscreening; der Arzt untersucht ihn mit einem sogenannten Lupenmikroskop, das mit einem Computer verbunden ist. Mit dem Instrument wird ein Foto der fraglichen Stelle der Haut gemacht. Dieses gibt der Arzt digital an einen Rechner weiter, der die Daten verarbeitet. Mittels dieser Technik kann der Arzt erkennen, ob Hautkrebs oder eine harmlose Veränderung vorliegt.

Wo liegt der Nutzen für die Patienten?

„Vor einer Untersuchung kann eine Kamera am Computertomografen ein Bild vom Körper des Patienten aufnehmen“, sagt Professor Stefan Schönberg, Direktor der Klinik für Radiologie und Nuklearmedizin am Universitätsklinikum Mannheim. „Das kann helfen, die Untersuchung im Tomografen optimal zu planen und so besser zu machen.“

Doch das ist noch nicht alles: „KI kann bei einer Verschreibung von Medikamenten auf dem Bildschirm eine Meldung erscheinen lassen, in der es heißt, Vorsicht, der Patient hat schlechte Nieren“, erklärt Professor Thomas Ganslandt, Leiter der Abteilung für Biomedizinische Informatik am neuen Centrum für Präventivmedizin in Mannheim.

Und sie könnte auch davor warnen, dass es bei einer Operation zu Komplikationen kommen kann, etwa wenn Patienten Vorerkrankungen haben. „KI kann zu einer Optimierung von Prozessen beitragen und so auch den Aufenthalt im Krankenhaus verkürzen“, sagt Ganslandt.

Wie profitieren Ärzte und medizinisches Personal von KI?

KI kann viele Daten automatisch aufbereiten. Dies können Auswertungen von Bildern oder Krankheitsverläufen sein. Diese Daten können auf einem sogenannten D ashboard abgelese n werden, das vergleichbar ist mit einem Display auf einem Armaturenbrett, das dem Fahrer im Auto die Geschwindigkeit anzeigt. „Das schafft einen schnelleren Überblick über den Gesundheitszustand eines Patienten“, sagt Schönberg, „als wenn alles persönlich gemacht werden muss.“

Wohin könnte die Reise gehen?

„Wir hoffen, dass wir dem Roboter mithilfe der Künstlichen Intelligenz wenigstens ein bisschen ‚Fingerspitzengefühl‘ beibringen können“, sagt Professor Jan Stallkamp, einer der Direktoren des Mannheimer Instituts für intelligente Systeme in der Medizin und Leiter der Abteilung für Automatisierung in der Medizin und Biotechnologie. In der Regel vertrauen die Patienten einem Arzt immer noch mehr als einem Roboter. „Aber wenn es nachgewiesen ist, dass der Roboter besser operieren kann als der Arzt, wird sich das schnell ändern.“

Auch in den Kliniken könnte sich einiges ändern: „Bei Künstlicher Intelligenz denkt man noch viel zu wenig an die Logistik und weitere Prozesse in den Krankenhäusern“, sagt Martin Holderried, der Geschäftsführer des Zentralbereichs Medizin am Universitätsklinikum Tübingen. So könnten etwa Lager und Transportsysteme für medizinische Instrumente und Verbrauchsmaterial automatisiert werden. Eines jedenfalls ist für Holderried sicher: „Der Einsatz der Künstlichen Intelligenz wird exponentiell wachsen.“

Wie sieht es mit dem Datenschutz aus?

„Durch die Digitalisierung steigen die Verarbeitungs- und Zugriffsmöglichkeiten enorm“, meint Stefan Brink, der baden-württembergische Landesbeauftragte für den Datenschutz. Weil Verbraucher Datenspuren im Internet hinterlassen und diese mit anonymen Krankendaten verknüpft werden könnten, könnten bestimmte Personen möglicherweise identifiziert werden.

Als größte Gefahr für Krankenhäuser und Klinken stuft Brink Hacker ein, die deren Systeme mit Verschlüsselungstrojanern lahmlegen und ein Lösegeld fordern könnten. „Die Daten müssen, wo immer möglich, anonymisiert werden“, sagt Barbara Susec, Referentin für Pflegepolitik und Digitalisierung im Gesundheitswesen in der Bundesverwaltung von Verdi in Berlin. Wichtig seien etwa Diagnosen, Geschlecht und Alter von Patienten. „Der Wohnort und das genaue Geburtsdatum eines Patienten dagegen tun nichts zur Sache.“

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