Haben die Gerichte wirklich genug Personal? An der Beteuerung von Justizminister Guido Wolf meldet die Landtags-FDP erhebliche Zweifel an. Der CDU-Mann werde von den Grünen gebremst, rügen sie.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - In Baden-Württemberg sind im vergangenen Jahr vier Tatverdächtige wegen überlanger Verfahren vor ihrem Prozess aus der Haft entlassen worden. In zwei Fällen habe das zuständige Oberlandesgericht die „gerichtliche Personalausstattung“ als Grund genannt, dass gegen das Beschleunigungsgebot bei Haftsachen verstoßen wurde. Dies geht aus der Antwort von Justizminister Guido Wolf (CDU) auf eine Anfrage der Landtags-FDP hervor.

 

Darin betont Wolf zugleich, im Jahr 2016 sei „bei der Personalausstattung der Justiz eine Kehrtwende eingeleitet worden“; damals übernahm er die Führung des Ressorts. Seither seien 165 neue Stellen für den höheren Justizdienst im Land geschaffen worden, wodurch sich die Personalsituation bei Gerichten und Staatsanwaltschaften „deutlich verbessert“ habe. Dies spiegele sich auch in den Zahlen des Systems Pebbsy, mit dem der Personalbedarf der Justiz ermittelt werde, berichtet Wolf. So seien die Landgerichte, die 2015 noch auf eine Besetzung von 96 Prozent kamen, inzwischen mit 99 Prozent nahezu voll ausgestattet. Wie die unabhängigen Gerichte die Stellen einsetzten, sei deren Sache.

Kretschmann verweist auf die Gerichte

Anlass für die Anfrage des FDP-Rechtsexperten Nico Weinmann war die durch unsere Zeitung bekannt gewordene Freilassung von zwei Männern, die dringend des versuchten Totschlags verdächtigt werden. Grund: der Prozessbeginn am Landgericht Stuttgart zog sich zu lange hin. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte die Verantwortung dafür den Gerichten zugewiesen; das Land habe für genügend Personal gesorgt.

Weinmann rügte nun, Kretschmann schiebe den Richtern „seine gravierenden Versäumnisse bei der Personalpolitik in die Schuhe“. Die in der Antwort genannten Zahlen zeigten eindrücklich, dass die Belastung der Gerichte spätestens seit 2014 kontinuierlich gestiegen sei; Großverfahren würden durch das Personalsystem nicht berücksichtigt. Während die Grünen-geführten Regierungen hunderte fragwürdiger Stellen für Ministerien und Behörden geschaffen hätten, sei in das „für den Rechtsstaat so wichtige Funktionieren der Justiz nahezu nichts investiert“ worden. Der FDP-Mann lobte Minister Wolf zwar für sein Engagement; angesichts der Haushaltslage des Landes sei aber „mehr erforderlich und möglich“. Offensichtlich beiße sich Wolf die Zähne an den Grünen aus.

Keine Sicherheit wie bei U-Haft

Laut der Antwort Wolfs waren im Jahr 2017 sechs Verdächtige vor dem Prozess aus der Haft entlassen worden. In zwei Fällen seien später Freiheitsstrafen verhängt worden, drei Urteile stünden noch aus. Gegen die Freigelassenen liefen zudem diverse neue Ermittlungsverfahren – so wegen Diebstahls, Betrugs oder Freiheitsberaubung. Gegen das Risiko, dass sie weitere Straftaten begingen, gebe es keine spezielle Handhabe. Man verfüge nur über allgemeine Präventionsmaßnahmen wie Meldeauflagen, Platzverweise oder Observationen. Diese böten jedoch „keine einer Untersuchungshaft vergleichbare Sicherheit zur Abwehr von Gefahren“.