Die AfD sorgt mit ihren Meldeportalen für Pädagogen für hitzige Diskussionen. Im Interview erklärt der langjährige Lehrerausbilder Roland Wolf, was Pädagogen im Unterricht dürfen und was nicht. Ihre Meinung verheimlichen sollten sie aus seiner Sicht nicht.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin - Die AfD schafft Internetplattformen, in denen Eltern und Schüler Lehrer melden können, die ihnen politisch gegen den Strich gehen. Professor Roland Wolf war lange Geschichtslehrer und Referendarausbilder. Hier erklärt er, was er davon hält und was Lehrer dürfen.

 

Herr Wolf, macht es Ihnen Angst, wenn Schüler und Eltern ihre Lehrer im Internet verpetzen können, weil sie vermeintlich oder tatsächlich gegen das politische Neutralitätsgebot verstoßen?

Da kann man schon Angst kriegen. Da sollen nicht nur Lehrer und Schüler eingeschüchtert werden. Es geht auch um unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung, mit der so etwas überhaupt nicht vereinbar ist. Man muss sich ganz deutlich dagegen wenden, dass gerade in der Schule solche Methoden angewandt werden. Genau dort sollen schließlich die Schüler das Rüstzeug erhalten, um mündige Bürger zu sein.

Was heißt das konkret?

Schüler müssen aktuelle Positionen und Probleme kennen, sie aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten und ein eigenes Werturteil bilden können. Dieser Anspruch ist eine Grundlage der Lehrerbildung. Die Vorstellung, dass da jemand sitzt, mitschreibt, anonym veröffentlicht und damit versucht, ein Meinungsmonopol durchzudrücken, bestürzt mich. Eindeutig zielt die AfD damit auf die Stammtischhoheit über die Klassenzimmer.

Wie ordnen Sie das politisch ein?

Es gab zwei totalitäre Systeme in Deutschland. Unser Bildungsplan verlangt, dass wir uns der besonderen Verantwortung, die sich daraus ergibt, stellen und die Schüler entsprechend erziehen. Alle Bestrebungen in eine totalitäre Richtung müssen beobachtet, thematisiert und diskutiert werden. Das gilt auch für die AfD und diesen Vorstoß.

Was dürfen Lehrer, die einem Neutralitätsgebot unterliegen, heute über die AfD sagen, und was nicht? Darf man sie zum Beispiel mit den Nazis vergleichen?

Gleichsetzen sollte man sie nicht. Aber es gibt ein Vokabular, das die AfD benutzt und das der Nazi-Sprache entlehnt ist. Das ist kein Zufall und natürlich ein Thema für den Unterricht. Viele Referendare werfen diese Frage in ihren Unterrichtsplanungen auf. Meine Antwort ist, dass Lehrer das ansprechen müssen. Wir können Schüler nicht im luftleeren Raum auf gesellschaftliche Diskussion vorbereiten.

Wie Lehrer im Unterricht Grenzen ziehen und was Eltern in Konfliktfällen tun können

Ist es schwer, als Pädagoge Grenzen zwischen Stoff und Meinung zu ziehen?

In der Ausbildung lernen die Lehrer, das zu trennen. Natürlich können sie eine Meinung haben, und die dürfen die Schüler auch kennen. Wenn wir den Kindern eine eigenständige Urteilsfähigkeit vermitteln wollen, wäre es doch absurd so zu tun, als hätten ausgerechnet ihre Lehrer keine Ansichten. Außerdem unterschätzt das die Schüler: Die sind schlau genug zu merken, wie einer denkt. Nicht vereinbar mit dem Neutralitätsgebot ist, wenn man sich für oder gegen die Wahl von Parteien ausspricht. Aber ich würde jedem Lehrer empfehlen, Positionen aus Partei- oder Wahlprogrammen von der Sache her zu diskutieren.

Wie macht man das handwerklich?

Für die Fächer Politik und Geschichte ist vor mehr als vierzig Jahren im Beutelsbacher Konsens eine Art Grundkanon für den Unterricht in Deutschland festgelegt worden. Das wichtigste Element ist das Überwältigungsverbot. Das heißt, dass Lehrer Schülern keine bestimmte Meinung aufzwingen, sie nicht indoktrinieren und in diesem Sinne „überwältigen“ dürfen. Außerdem müssen Lehrer Themen kontrovers darstellen und verschiedene Positionen zum Tragen kommen lassen.

Was halten Sie von Initiativen, solche AfD-Portale mit Scherzmeldungen lahmzulegen?

Die Idee gefällt mir. Ich traue unseren Schülern da viel Kreativität zu. Darüber hinaus muss die Politik sich vor die Lehrer stellen und ihr Vertrauen in die Pädagogen ausdrücken.