Die seit Monaten andauernde Krise um das Verfassungsgericht geht in die letzte Runde. Die Opposition plant bereits neue Proteste.
Warschau - Wenn die Menschen im katholischen Polen vor Weihnachten das Tempo drosseln und sich auf besinnliche Feiertage einstellen, dann erwacht Jaroslaw Kaczynski zu besonderer Tatkraft. Das war 2015 so, als der Vorsitzende der rechtsnationalen PiS kurz vor dem Jahreswechsel mehrere Eilgesetze durch das Parlament peitschen ließ. Die Partei, die damals erst seit wenigen Wochen allein regierte, blockierte die Arbeit des Verfassungsgerichts und stellte die staatlichen Medien unter Ministerkontrolle.
Einschränkung des Versammlungsrechts
2016 nun schlägt Kaczynski wieder zu. In der Nacht zu Donnerstag schuf die PiS in der letzten regulären Sejm-Sitzung des Jahres vollendete Tatsachen. Sie verabschiedete eine höchst umstrittene, auf mehr „nationale Erziehung“ abzielende Schulreform, die sie erst im November ins Parlament eingebracht hatte. Und sie schränkte das Versammlungsrecht ein. Gegendemonstrationen werden an den Rand von Kundgebungsorten verbannt und damit „de facto unmöglich gemacht“, wie die liberale „Gazeta Wyborcza“ kommentierte. Vor allem aber eröffne die PiS die „Entscheidungsschlacht um das Verfassungsgericht“.
Mit ihrer absoluten Mehrheit nominierten Kaczynskis Gefolgsleute den erst 37-jährigen Warschauer Zivilrechtler Michal Warcinski als neuen Verfassungsrichter – im Prinzip ein normaler Vorgang, und so ist Warcinskis Vereidigung durch den Staatspräsidenten und Kaczynski-Vertrauten Andrzej Duda eine reine Formsache. Das Problem jedoch ist: Duda hatte sich 2015 geweigert, mehreren PiS-kritischen Kandidaten den Amtseid abzunehmen. Infolgedessen könnten sich die Kräfteverhältnisse im derzeit noch blockierten Verfassungsgericht nun endgültig zugunsten der PiS verschieben, zumal am kommenden Montag der langjährige Gerichtspräsident Andrzej Rzeplinski in den Ruhestand geht.
Ein Teufelskreis schließt sich
Es war namentlich Rzeplinski, der die Unabhängigkeit des Gerichts über ein Jahr hinweg gegen alle Angriffe der PiS-Regierung verteidigt hat. Dazu muss man wissen, dass der Gerichtspräsident die Verfahrenshoheit besitzt. Auf diese Weise hatte Rzeplinski dafür gesorgt, dass das Gericht diverse PiS-Gesetze, darunter die neuen Regeln für das Verfassungsgericht, als grundgesetzwidrig verwarf. PiS-Staatschef Duda seinerseits weigerte sich jedoch, diese „Rzeplinski-Urteile“ zu veröffentlichen. Ein Teufelskreis schloss sich. Faktisch gibt es in Polen derzeit eine doppelte Rechtslage: die des Verfassungsgerichts und jene der Regierung.
Mit einem neuen, der PiS wohlgesinnten Gerichtspräsidenten könnte sich diese Situation nun ändern. Die Kaczynski-Partei hat zu diesem Zweck kurzfristig die Regeln für die Wahl des Vorsitzenden geändert. Ob das reicht, ist allerdings offen. Auch nach dem Ausscheiden Rzeplinskis stehen noch immer acht von 15 Richtern der PiS kritisch gegenüber. Wählen sie einen Vorsitzenden, den Staatschef Duda ablehnt, würde nach den neuen Regeln der dienstälteste Richter den Präsidentenstuhl einnehmen, in diesem Fall eine PiS-getreue Richterin: Julia Przylebska, die Ehefrau des polnischen Botschafters in Berlin, Andrzej Przylebski.
Spaltung in zwei Lager
Aber selbst dann, so erwarten viele Beobachter, würden sich die acht regierungskritischen Richter kaum mit ihrer Entmachtung abfinden. Die gemäßigt-konservative Zeitung „Rzeczpospolita“ kam kürzlich zur Einschätzung, am wahrscheinlichsten sei eine dauerhafte Spaltung des Gerichts in zwei Lager, die ihre Urteile wechselseitig nicht anerkennen. Glaubt man dem ausscheidenden Präsidenten Rzeplinski, dann ist es dieser Zustand einer „juristischer Anarchie, den die gegenwärtigen Machthaber bewusst anstreben“. Tatsächlich kann ein gespaltenes Gericht die übrigen Staatsorgane kaum effektiv kontrollieren.
In dieser Lage bereitet die außerparlamentarische Opposition in Polen weitere Protestaktionen gegen die Regierung vor. Zuletzt hatten am Dienstag, dem 35. Jahrestag der Verhängung des Kriegsrechts im kommunistischen Polen, Zehntausende gegen die „Einparteienherrschaft“ der PiS demonstriert.